Keine Verjährung der zivilrechtlichen Herausgabeansprüche im Fall Gurlitt

 

Fast unisono wird in der Öffentlichkeit und der konservativen Presse, insbesondere in der FAZ, und dem SPIEGEL, die Meinung vertreten, dass die zivilrechtlichen Herausgabeansprüche der rassisch verfolgten Eigentümer der bei Cornelius Gurlitt gefundenen Bilder nach § 985 BGB durch den Ablauf der in § 187 Abs. 1 Nr. 1 BGB festgelegten dreißigjährigen Frist längst verjährt seien.

Diese Ansicht ist falsch,  auch wenn sie inzwischen vom Bayrischen Justizminister Bausback und von Frau Leutheusser-Schnarrenberger vertreten wird.

Die Opfer der rassischen Verfolgung im Dritten Reich konnten seit dem Ende des Krieges ihre Restitutionsansprüche in natura nur nach den damaligen alliierten Rückerstattungsgesetzen verfolgen, die das allgemeine Zivilrecht und das BGB mit seinen längeren Verjährungsfristen verdrängten und die kurzen und zwingenden Anmeldefristen – im Fall Gurlitt der 31.12.1948 – enthielten.

Diese Fristen sollten angeblich dem Rechtsfrieden dienen, führten aber dazu, dass viele der über die ganze Welt verstreuten Geschädigten dadurch gesetzlich von der Rückgabe ausgeschlossen wurden, weil sie bis Ablauf der Frist weder den Verbleib der Vermögensgegenstände noch die Schädiger kannten, also keine Anträge stellen konnten. Dadurch gewannen die Räuber und Mörder und ihre Profiteure, die nach Ablauf der Frist das bis dahin noch nicht aufgefundene Raubgut behalten konnten.

Erst der BGH hat im März 2012 diese über alle Jahre hinweg bestehende Gerechtigkeitslücke mit seinem Urteil zur Plakatsammlung Sachs geschlossen, indem er das Zivilrecht für solche Fälle doch für anwendbar erklärte und so wenigstens den Nachfahren Wieder­gutmachung durch physische Rückgabe der geraubten Güter eröffnet hat.

Diese klare und grundlegend neue Rechtsprechung des BGH wird jedoch von der Presse nicht auf den Fall Gurlit bezogen, weil das Deutsche Historische Museum, das nun die Plakatsammlung herausgeben muss, im dortigen Fall den Einwand der Verjährung nicht erhoben hatte, was aber nicht bedeutet, dass hier Verjährung eingetreten gewesen wäre.

Der doch erhobene Einwand der Verwirkung des Anspruchs wurde vom BGH unter Hinweis auf die Unmöglicheit der Geltendmachung während der Zeit des Dritten Reiches und der DDR zurückgewiesen, so dass diese Frist erst am 3. Oktober 1990 zu laufen begonnen hatte. Das läst darauf schließen, dass auch die Verjährungsfrist frühestens dann zu laufen begonnen haben kann.

Entgegen der von vielen Zeitungen ohne Beachtung der neuen Rechtsprechung verbreiteten Rechtsansicht sind aber auch die Ansprüche der Gurlitt-Geschädigten nicht verjährt. Die 30-jährige Frist für die Verjährung des dinglichen Herausgabeanspruchs beginnt nach Paragraph 200 Satz 1 BGB mit dessen Entstehung, nicht etwa schon zum Zeitpunkt des Besitzwechsels an den Bildern.

Daher ist in jedem Einzelfall zu prüfen, wann er entstanden ist. Dies ist allgemein erst dann der Fall, wenn er objektiv erstmals geltend gemacht und notfalls durch Klage durchgesetzt werden kann. Wissen aber die Geschädigten weder, ob und wo ihr Eigentum überhaupt existiert, noch wer der Schädiger ist und die tatsächliche Sachherrschaft ausübt, weil darüber – mangels Aufklärung – keine Nachrichten vorliegen, ist es ihnen unmöglich, ihre Rechte geltend zu machen.

Unabhängig vom Vorigen haben die Geschädigten wegen der Sittenwidrig­keit der damaligen Wegnahmen nicht nur die dinglichen, sondern auch deliktische, selbständig zu beurteilende Ansprüche. Diese verjähren nach altem und neuem Recht zwar innerhalb von drei Jahren. Jedoch muß der Anspruch erst entstanden sein und müssen die Geschädigten die ihn begründenden Umstände, ferner die Person des Anspruchsgegners kennen.

Die 30-Jahresfrist ist keineswegs ein finaler Schlußpunkt, sondern unterliegt einer Vielzahl gesetzlicher Ausnahmen. Nach feststehender Rechtsprechung tritt eine Hemmung der Verjährung nach § 206 BGB u. a. dann ein, wenn und so lange eine beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtslos ist, weil die Rechtsprechung Ansprüche dieser Art verneint, wenn ein Klageweg rechtlich gar nicht zur Verfügung gestellt wurde, wenn die Rechtspflegeorgane ein Tätigwerden ablehnten, wenn gerichtliche Hilfe in der praktischen Lebenswirklichkeit, z. B. wegen konkreter politischer Zwänge, nicht zur Verfügung stand. In all diesen Fällen läuft die Verjährung über 30 Jahre hinaus weiter, bis das Hemmnis beseitigt ist.

Nach diesen Voraussetzungen ist die Verjährung der Ansprüche der Gurlitt-Geschädigten noch immer gehemmt. Manches spricht sogar dafür, dass durch den erneuten Besitzwechsel von Gurlitt zur Zollverwaltung Bayern der Herausgabeanspruch erneut entstanden ist und damit auch die Verjährungsfrist neu beginnt. Eigentum an den im Dritten Reich abhanden gekommenen Bildern konnte Gurlitt ebenso wenig erwerben, wie jetzt die Zollverwaltung.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH ist der wichtigste Aspekt jedoch: Es entsprach nach dem Krieg allgemeiner Rechtsaufassung, dass die Rückerstattungsgesetze als das speziellere Recht das allgemeine Zivilrecht verdrängten. Deswegen verbot es sich für die Geschädigten, eine Klage (gegen wen und aus welchen Gründen?) auf den im BGB bestimmten Herausgabeanspruch zu stützen. Erstmals durch das Urteil des BGH zur Sachs-Sammlung sind nun für solche Vermögenswerte Ansprüche nach BGB eröffnet worden. Wegen des bekannten Verhaltens der Ermittlungsbehörden beginnen aber erst jetzt die Nachforschungen zur Provenienz der Bilder. Wann soll also die Verjährungsfrist für die zivilrechtlichen Herausgabeansprüche begonnen haben?

Es war bereits beim Erlass der Rückerstattungsgesetze unerfindlich, wie eine Regelung zum Rechtsfrieden beitragen sollte, die wegen ihrer extrem kurzen Frist die Belange der Täter nach den Raubzügen des Nazi-Regimes ein weiteres Mal über diejenigen der Opfer stellte. Trotzdem hat die Rechtsprechung über Jahrzehnte an der ausschließlichen Geltung dieser Gesetze und ihrer Fristen festgehalten und die Anwendung des Zivilrechts verneint.

Skandalös und zynisch wäre es, wenn die Nachfahren der Opfer jetzt nach dem späten Auffinden dieses Raubguts von deutschen Juristen nochmals brüskiert würden, nämlich mit der Bescheidung, neuerdings würden zwar Ansprüche nach BGB eröffnet, dafür gälten auch die dortigen langen Verjährungsfristen, aber leider, leider seien diese jedoch ihrerseits zwischenzeitlich abgelaufen, nachdem das Raubgut so lange und so gut versteckt gewesen sei. Will die Justiz wirklich so mit den Opfern des Nationalsozialismus umgehen?

Bernd F. Lunkewitz