Hervorgehobener Artikel

Der Prozess vor dem Verwaltungsgericht um Rütten & Loening

Der Verlag Rütten & Loening OHG, der Originalverlag des „Struwwelpeter“, eine literarische Institution bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts, wurde – 1844 von zwei jüdischen Familien gegründet – im Jahre 1936 „arisiert“ und umgehend von Frankfurt am Main nach Potsdam verlegt.

Die in Frankfurt vor 1933 hoch angesehenen Verleger ereilte das Schicksal der meisten deutschen Juden: Sie wurden entrechtet und ihres Vermögens beraubt.

Wilhelm Ernst Oswalt wurde 1942 im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg ermordet.

Dr. Adolf Neumann floh aus Deutschland und verstarb im Exil in Schweden.

Die nach Kriegsende von den Geschädigten bzw. ihren Erben zahlreich gestellten Anträge auf Rückgabe des Verlages oder Entschädigung wurden nach dem Krieg von den westdeutschen Behörden unisono als unzulässig – aber nicht als unbegründet – abgelehnt, weil der Verlag bereits seit 1936 außerhalb des späteren Geltungsbereiches der alliierten und bundesdeutschen Gesetze, nämlich in der damals Sowjetisch besetzten Zone, bzw. der DDR, belegen war.

Dort wurde immerhin der Ariseur entschädigungslos enteignet, der Verlag geriet in Volkseigentum, dann wieder in privates Eigentum, schließlich geriet er auf kompliziertem Wege faktisch in die Hände der Treuhandanstalt, die ihn 1991 verkaufte, was allerdings auch schon aus anderen Gründen unwirksam war.

Am 3. Oktober 1990 hatten die Erben des ermordeten Verlegers den Antrag auf Restitution des Verlages beim Amt für offene Vermögensfragen entsprechend § 1 Abs. 6 des Vermögensgesetzes gestellt, wonach die Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands, „die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben“ die Rückgabe des entzogenen Vermögens oder eine Entschädigung verlangen können.

Dieser Antrag wurde im Sommer 2003, nach 13 Jahren Verschleppung, von der Behörde abgelehnt, weil das Vermögensgesetz auf diesen Fall nicht anzuwenden sei.

Das von den Erben dagegen angerufene Verwaltungsgericht Berlin urteilte zunächst zu Gunsten der Antragsteller. Das von der Behörde und der ehemaligen Treuhandanstalt angerufene Bundesverwaltungsgericht hob das Urteil jedoch auf und bestätigte im Jahre 2011 endgültig den Bescheid des Vermögensamts.

Das Bundesverwaltungsgericht begründete dies damit, dass nach seiner Ansicht das Vermögensgesetz nur dann anwendbar ist, wenn der betreffende Vermögenswert auch bereits zum Zeitpunkt der „Wegnahme“ auf dem späteren Gebiet der DDR belegen war. Vermögensgegenstände, die im späteren Bundesgebiet, außerhalb des Gebiets der DDR geraubt und dann später – noch zur Zeit des Dritten Reiches – dorthin verbracht wurden, seien vom Vermögensgesetz nicht erfasst, folglich auch heute nicht zurückzugeben, da es an der dafür notwendigen „Gebietsbezogenheit“ fehlen würde.

Damit erklärt das Gericht, dass auch eine Belegenheit des Betriebes seit 1936 in Potsdam und ab 1952 bis zu Wende in Berlin Ost, also für insgesamt mehr als 50 Jahre, für die notwendige Gebietsbezogenheit keinesfalls ausreiche, da – so kann man unterstellen – zu dieser Zeit und an diesem Ort der Jude durch den Entzug des Betriebes nicht mehr geschädigt worden sei, weil der Betrieb ja schon vorher geraubt  und der Räuber dessen Eigentümer wurde.

Um den Schein der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, erklärte das BVwG dazu:

„Das Vermögensgesetz begründet bei Schädigungen, die bereits dem alliierten Rückerstattungsrecht oder dem in der Bundesrepublik geltenden Wiedergutmachungsrecht unterfielen, keine neuen weitergehenden Ansprüche. Es bezweckt weder eine „Nachbesserung“ der dort geregelten Rechtsfolgen noch eine Korrektur damaliger Entscheidungen.   (Pressemitteilung des BVwG Nr. 79/2009)

Nach den gesetzlichen Bestimmungen (Normen) habe das alliierte und bundesdeutsche Rückerstattungs- und Entschädigungsrecht für den Zwangsverkauf in Frankfurt am Main angeblich gegolten. Leider sei es damals in Ost-Berlin nicht durchsetzbar gewesen, was aber an der Geltung der Norm nichts ändere, sondern nur zur Unmöglichkeit der Restitution geführt habe, was aber zu einem – gleichwertigen – Entschädigungsanspruch geführt habe.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob dieser Entschädigungsanspruch damals tatsächlich geltend gemacht und befriedigt wurde, denn die bloße gesetzliche Möglichkeit dazu reiche aus.

Daher haben die Geschädigten, die in der vom Gesetzgeber extrem kurz gefassten Frist bis zum 31.12.1992 tatsächlich einen Antrag gestellt haben, weil nunmehr die Restitution auch auf dem Gebiet der DDR gesetzlich geregelt war, nach dem Vermögensgesetz keinen Rechtsanspruch auf Restitution oder Entschädigung, wenn der entsprechende Vermögensgegenstand außerhalb des Gebiets der späteren DDR geraubt und danach, während der Zeit des Nationalsozialismus, lediglich dorthin verbracht worden ist.

Zweifellos wäre in der DDR nach dem 8. Mai 1945 geraubtes „jüdisches“ Vermögen, darunter auch der Verlag Rütten & Loening restituiert worden, wenn in der SBZ oder der DDR vergleichbare Rückerstattungsgesetze vorhanden gewesen und angewendet worden wären. Dieses auf Grund der SED Politik absichtliche Versäumnis der DDR jetzt durch die Bestimmungen des § 1 Abs. 6 des Vermögensgesetzes nachzuholen, war auch die Absicht der Volkskammer. Beim Erlass des Vermögensgesetzes ging es darum, alles vom Nationalsozialistischen Deutschland geraubte Vermögen zurückzugeben, sofern es auf dem Gebiet der DDR noch vorhanden und feststellbar war. Aber dieser Wille des ersten frei gewählten Parlaments der DDR wurde vom Bundesverwaltungsgericht – aus fiskalischen Gründen – torpediert, denn das Restitutionsverfahren lief vor dem Hintergrund des Rechtsstreits um die Privatisierung des Verlages zusammen mit dem Aufbau-Verlag durch die BVS. Die Behörden hatten die Erwerber über den Restitutionsantrag nie informiert. Wäre es aber zu einer Restitution des Verlages Rütten & Loening gekommen, wäre auch der Verkauf des Aufbau-Verlages rückabzuwickeln gewesen. Dieses, für die BVS sehr teure Ergebnis hat das Bundesverwaltungsgericht dadurch erfolgreich abgewehrt, dass es die berechtigten Forderungen der Erben der Verleger von Rütten & Loening mit dieser fadenscheinigen Begründung abgewiesen hat.

Nach dem Krieg bekamen die Erben des ermordeten Verlegers den Verlag nicht zurück, obwohl der Raub nach der vom Bundesverwaltungsgericht in unnachahmlicher Weise angewandten „normativen Betrachtungsweise“ angeblich den alliierten bzw. westdeutschen Wiedergutmachungsgesetzen unterfallen wäre. Aber leider, leider waren diese Gesetze bekanntlich in Berlin Ost, das nach der dortigen Ansicht Hauptstadt der DDR war, nicht durchsetzbar, und die DDR hat – bis auf Ansprüche der Sowjetunion – grundsätzlich nicht restituiert, unabhängig davon, woher das Raubgut stammte.

Heute bekommen die Erben des ermordeten Verlegers nichts zurück, weil nach Ansicht des BVwG die damaligen Entscheidungen – Unzulässigkeit des Antrags, weil der Vermögensgegenstand nicht im Geltungsbereich des Rückerstattungsrechts belegen ist – durch das Vermögensgesetz nicht korrigiert oder nachbessert werden sollen.

Auf dem Gebiet der DDR gibt es daher die Selektion von zwei rechtlich unterschiedlichen Klassen jüdischen Eigentums: das auf dem Gebiet der DDR entzogene und dort noch feststellbar vorhandene Vermögen, das auf Antrag zurückzugeben ist, und das in sonstigen Gebieten entzogene Vermögen, das anschließend auf das Gebiet der späteren DDR verbracht worden ist und heute nicht zurückgeben wird, weil angeblich die Volkskammer das nicht wollte.

Folglich ist das Gebiet der DDR ein sicherer Hort für Naziraubgut, das außerhalb der späteren DDR geraubt wurde und die Bundesrepublik – und jeder andere Räuber –  kann die Beute ganz legal behalten.

Allerdings ist diese fiskalisch opportune Auslegung des Vermögensgesetzes durch das Bundesverwaltungsgericht noch vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig.

Bernd F. Lunkewitz

Keine Verjährung der zivilrechtlichen Herausgabeansprüche im Fall Gurlitt

 

Fast unisono wird in der Öffentlichkeit und der konservativen Presse, insbesondere in der FAZ, und dem SPIEGEL, die Meinung vertreten, dass die zivilrechtlichen Herausgabeansprüche der rassisch verfolgten Eigentümer der bei Cornelius Gurlitt gefundenen Bilder nach § 985 BGB durch den Ablauf der in § 187 Abs. 1 Nr. 1 BGB festgelegten dreißigjährigen Frist längst verjährt seien.

Diese Ansicht ist falsch,  auch wenn sie inzwischen vom Bayrischen Justizminister Bausback und von Frau Leutheusser-Schnarrenberger vertreten wird.

Die Opfer der rassischen Verfolgung im Dritten Reich konnten seit dem Ende des Krieges ihre Restitutionsansprüche in natura nur nach den damaligen alliierten Rückerstattungsgesetzen verfolgen, die das allgemeine Zivilrecht und das BGB mit seinen längeren Verjährungsfristen verdrängten und die kurzen und zwingenden Anmeldefristen – im Fall Gurlitt der 31.12.1948 – enthielten.

Diese Fristen sollten angeblich dem Rechtsfrieden dienen, führten aber dazu, dass viele der über die ganze Welt verstreuten Geschädigten dadurch gesetzlich von der Rückgabe ausgeschlossen wurden, weil sie bis Ablauf der Frist weder den Verbleib der Vermögensgegenstände noch die Schädiger kannten, also keine Anträge stellen konnten. Dadurch gewannen die Räuber und Mörder und ihre Profiteure, die nach Ablauf der Frist das bis dahin noch nicht aufgefundene Raubgut behalten konnten.

Erst der BGH hat im März 2012 diese über alle Jahre hinweg bestehende Gerechtigkeitslücke mit seinem Urteil zur Plakatsammlung Sachs geschlossen, indem er das Zivilrecht für solche Fälle doch für anwendbar erklärte und so wenigstens den Nachfahren Wieder­gutmachung durch physische Rückgabe der geraubten Güter eröffnet hat.

Diese klare und grundlegend neue Rechtsprechung des BGH wird jedoch von der Presse nicht auf den Fall Gurlit bezogen, weil das Deutsche Historische Museum, das nun die Plakatsammlung herausgeben muss, im dortigen Fall den Einwand der Verjährung nicht erhoben hatte, was aber nicht bedeutet, dass hier Verjährung eingetreten gewesen wäre.

Der doch erhobene Einwand der Verwirkung des Anspruchs wurde vom BGH unter Hinweis auf die Unmöglicheit der Geltendmachung während der Zeit des Dritten Reiches und der DDR zurückgewiesen, so dass diese Frist erst am 3. Oktober 1990 zu laufen begonnen hatte. Das läst darauf schließen, dass auch die Verjährungsfrist frühestens dann zu laufen begonnen haben kann.

Entgegen der von vielen Zeitungen ohne Beachtung der neuen Rechtsprechung verbreiteten Rechtsansicht sind aber auch die Ansprüche der Gurlitt-Geschädigten nicht verjährt. Die 30-jährige Frist für die Verjährung des dinglichen Herausgabeanspruchs beginnt nach Paragraph 200 Satz 1 BGB mit dessen Entstehung, nicht etwa schon zum Zeitpunkt des Besitzwechsels an den Bildern.

Daher ist in jedem Einzelfall zu prüfen, wann er entstanden ist. Dies ist allgemein erst dann der Fall, wenn er objektiv erstmals geltend gemacht und notfalls durch Klage durchgesetzt werden kann. Wissen aber die Geschädigten weder, ob und wo ihr Eigentum überhaupt existiert, noch wer der Schädiger ist und die tatsächliche Sachherrschaft ausübt, weil darüber – mangels Aufklärung – keine Nachrichten vorliegen, ist es ihnen unmöglich, ihre Rechte geltend zu machen.

Unabhängig vom Vorigen haben die Geschädigten wegen der Sittenwidrig­keit der damaligen Wegnahmen nicht nur die dinglichen, sondern auch deliktische, selbständig zu beurteilende Ansprüche. Diese verjähren nach altem und neuem Recht zwar innerhalb von drei Jahren. Jedoch muß der Anspruch erst entstanden sein und müssen die Geschädigten die ihn begründenden Umstände, ferner die Person des Anspruchsgegners kennen.

Die 30-Jahresfrist ist keineswegs ein finaler Schlußpunkt, sondern unterliegt einer Vielzahl gesetzlicher Ausnahmen. Nach feststehender Rechtsprechung tritt eine Hemmung der Verjährung nach § 206 BGB u. a. dann ein, wenn und so lange eine beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtslos ist, weil die Rechtsprechung Ansprüche dieser Art verneint, wenn ein Klageweg rechtlich gar nicht zur Verfügung gestellt wurde, wenn die Rechtspflegeorgane ein Tätigwerden ablehnten, wenn gerichtliche Hilfe in der praktischen Lebenswirklichkeit, z. B. wegen konkreter politischer Zwänge, nicht zur Verfügung stand. In all diesen Fällen läuft die Verjährung über 30 Jahre hinaus weiter, bis das Hemmnis beseitigt ist.

Nach diesen Voraussetzungen ist die Verjährung der Ansprüche der Gurlitt-Geschädigten noch immer gehemmt. Manches spricht sogar dafür, dass durch den erneuten Besitzwechsel von Gurlitt zur Zollverwaltung Bayern der Herausgabeanspruch erneut entstanden ist und damit auch die Verjährungsfrist neu beginnt. Eigentum an den im Dritten Reich abhanden gekommenen Bildern konnte Gurlitt ebenso wenig erwerben, wie jetzt die Zollverwaltung.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH ist der wichtigste Aspekt jedoch: Es entsprach nach dem Krieg allgemeiner Rechtsaufassung, dass die Rückerstattungsgesetze als das speziellere Recht das allgemeine Zivilrecht verdrängten. Deswegen verbot es sich für die Geschädigten, eine Klage (gegen wen und aus welchen Gründen?) auf den im BGB bestimmten Herausgabeanspruch zu stützen. Erstmals durch das Urteil des BGH zur Sachs-Sammlung sind nun für solche Vermögenswerte Ansprüche nach BGB eröffnet worden. Wegen des bekannten Verhaltens der Ermittlungsbehörden beginnen aber erst jetzt die Nachforschungen zur Provenienz der Bilder. Wann soll also die Verjährungsfrist für die zivilrechtlichen Herausgabeansprüche begonnen haben?

Es war bereits beim Erlass der Rückerstattungsgesetze unerfindlich, wie eine Regelung zum Rechtsfrieden beitragen sollte, die wegen ihrer extrem kurzen Frist die Belange der Täter nach den Raubzügen des Nazi-Regimes ein weiteres Mal über diejenigen der Opfer stellte. Trotzdem hat die Rechtsprechung über Jahrzehnte an der ausschließlichen Geltung dieser Gesetze und ihrer Fristen festgehalten und die Anwendung des Zivilrechts verneint.

Skandalös und zynisch wäre es, wenn die Nachfahren der Opfer jetzt nach dem späten Auffinden dieses Raubguts von deutschen Juristen nochmals brüskiert würden, nämlich mit der Bescheidung, neuerdings würden zwar Ansprüche nach BGB eröffnet, dafür gälten auch die dortigen langen Verjährungsfristen, aber leider, leider seien diese jedoch ihrerseits zwischenzeitlich abgelaufen, nachdem das Raubgut so lange und so gut versteckt gewesen sei. Will die Justiz wirklich so mit den Opfern des Nationalsozialismus umgehen?

Bernd F. Lunkewitz

Nochmals zum Herausgabeanspruch auf die Bilder aus der Sammlung Gurlitt

Der in dem Leserbrief in der FAZ vom 22.01.2013 von Herrn Prof. Dr. Wolfgang Krüger apodiktisch vorgetragenen Meinung, daß die zivilrechtlichen Herausgabeansprüche der Rechtsnachfolger der rassisch verfolgten Eigentümer der bei Gurlitt gefundenen Bilder nach § 985 BGB durch den Ablauf der in § 187 Abs. 1 Nr. 1 BGB festgelegten dreißigjährigen Frist längst verjährt seien, kann ich auch nicht deshalb zustimmen, weil sie inzwischen auch vom Bayrischen Justizminister Bausback und von Frau Leutheusser-Schnarrenberger vertreten wird, schon weil der von ihm einzig dafür angeführte Text des § 200 Satz 1 BGB diese Rechtsmeinung gerade nicht “selten eindeutig“ bestätigt.

Die Opfer der rassischen Verfolgung im Dritten Reich konnten seit dem Ende des Krieges ihre Restitutionsansprüche in natura nur nach den damaligen alliierten Rückerstattungsgesetzen verfolgen, die das allgemeine Zivilrecht und das BGB mit seinen längeren Verjährungsfristen verdrängten und die bekannten, extrem kurzen und zwingenden Anmeldefristen – im Fall Gurlitt der 31.12.1948 – enthielten. Diese Fristen sollten angeblich dem Rechtsfrieden dienen, führten jedoch tatsächlich dazu, dass viele der – meist  über die ganze Welt verstreuten –  Geschädigten oder deren Nachkommen dadurch gesetzlich von der Rückgabe ausgeschlossen wurden, weil sie bis Ablauf der Ausschlussfrist weder den Verbleib ihres Vermögens noch die Schädiger kannten, also keine Anträge stellen konnten. Es gab also damals überhaupt keine zivilrechtlichen Herausgabeansprüche und daher auch keine Verjährungsfristen. Dadurch gewannen die Räuber und Mörder und ihre Gehilfen oder Profiteure, die durch die Verdrängung des Zivilrechts auch nach Ablauf der Fristen des Rückerstattungsrechts das bis dahin noch nicht aufgefundene Raubgut behalten konnten. Das ist seit Jahrzehnten bekannt, auch wenn heute so getan wird, als sei das eine Überraschung. Erst der BGH hat im März 2012 diese über all die Jahre hinweg perpetuierte eklatante Gerechtigkeitslücke mit seinem Urteil zur Sachs-Sammlung geschlossen, indem er das BGB für solche Fälle jetzt doch für anwendbar erklärte und so wenigstens den Nachfahren der Opfer Wieder­gutmachung durch physische Rückgabe der geraubten Güter eröffnet hat.

Entgegen Herrn Prof. Dr. Wolfgang Krüger sind die Ansprüche der Gurlitt-Geschädigten nicht verjährt. Seine Feststellung, daß die 30-jährige Verjährung des dinglichen Herausgabeanspruchs nach Paragraph 200 Satz 1 BGB an dessen Entstehung anknüpft, ist richtig, hilft aber nicht weiter, da zu prüfen ist, wann er denn entstanden ist. Dies ist erst dann der Fall, wenn er objektiv erstmals geltend gemacht und notfalls durch Klage durchgesetzt werden kann. Wissen aber die Geschädigten weder, wo sich ihr Eigentum überhaupt befindet, noch wer der Schädiger ist und die tatsächliche Sachherrschaft ausübt, weil darüber – mangels Aufklärung – keine Nachrichten vorliegen, ist es ihnen unmöglich, ihre Rechte geltend zu machen, erst recht, Klage (gegen wen und aus welchen Gründen ?) zu erheben.

Unabhängig vom Vorigen haben die Geschädigten wegen der Sittenwidrig­keit der damaligen Wegnahmen nicht nur die vorgenannten dinglichen, sondern auch deliktische, selbständig zu beurteilende Ansprüche. Diese verjährten nach altem und verjähren nach neuem Recht zwar innerhalb von drei Jahren. Jedoch muß der Anspruch erst entstanden sein und müssen die Geschädigten die ihn begründenden Umstände, ferner die Person des Anspruchsgegners kennen.

Die 30-Jahresfrist ist keineswegs ein finaler Schlußpunkt, sondern unterliegt einer Vielzahl gesetzlicher Ausnahmen. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des BGH, die dieser selbst als feststehend bezeichnet hat, tritt eine Hemmung der Verjährung nach Paragraph 206 BGB u. a. dann ein, wenn und so lange eine beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtslos ist, weil die Rechtsprechung Ansprüche dieser Art verneint, bzw. wenn ein Klageweg rechtlich gar nicht zur Verfügung gestellt wurde, bzw. wenn die Rechtspflegeorgane ein Tätigwerden ablehnten, bzw. wenn gerichtliche Hilfe in der praktischen Lebenswirklichkeit, z. B. wegen konkreter politischer Zwänge, nicht zur Verfügung stand. In all diesen Fällen läuft die Verjährung über 30 Jahre hinaus weiter, bis das Hemmnis beseitigt ist.

Ganz offensichtlich ist nach den genannten Voraussetzungen die Verjährung der Ansprüche der Gurlitt-Geschädigten gehemmt. Die weggenommenen Bilder sind damals den Eigentümern abhandengekommen, so dass auch ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen ist. Ein Kunsthändler, der ausgerechnet z. B. von Goebbels 200 Bilder für 4.000 Franken gekauft haben will, kann sich niemals auf gutgläubigen Erwerb berufen. Es entsprach nach dem Krieg allgemeiner Rechtsaufassung, dass die Rückerstattungsgesetze als das speziellere Recht das allgemeine Zivilrecht und das BGB verdrängten. Deswegen verbot es sich für die Geschädigten, eine Klage (wieder: gegen wen und aus welchen Gründen?) ausgerechnet auf das BGB und den dort bestimmten Herausgabeanspruch mit dessen Verjährungsvorschriften zu stützen. Erstmals durch das Urteil des BGH zur Sachs-Sammlung sind für solche damals verschollenen Vermögenswerte Ansprüche nach allgemeinem Zivilrecht und BGB eröffnet worden. Diese können aber bisher noch immer nicht geltend gemacht werden, weil wegen des bekannten Verhaltens der Ermittlungsbehörden erst jetzt die Nachforschungen zur Provenienz beginnen. Wann soll also die Verjährungsfrist für die zivilrechtlichen Herausgabeansprüche begonnen haben?

Es war bereits beim Erlass der Rückerstattungsgesetze mit ihren genannten Anmeldefristen unerfindlich, wie eine Regelung zum Rechtsfrieden beitragen sollte, die die Belange der Täter nach den Raubzügen des Nazi-Regimes ein weiteres Mal über diejenigen der Opfer stellte. Trotzdem hat die Rechtsprechung über Jahrzehnte an der ausschließlichen Geltung dieser Gesetze und der darin bestimmten Fristen festgehalten und die Anwendung des Zivilrechts verneint. Skandalös und zynisch wäre es, wenn die Nachfahren der Opfer jetzt nach dem späten Auftauchen dieses Raubguts von Juristen, wie dem Herrn Professor Krüger, nochmals brüskiert würden, nämlich mit der Bescheidung, neuerdings würden zwar Ansprüche nach BGB eröffnet, dafür gälten auch die dortigen langen Verjährungsfristen, leider, leider seien diese jedoch ihrerseits zwischenzeitlich abgelaufen, nachdem das Raubgut so lange und so gut versteckt gewesen sei. Will die Justiz wirklich so mit den Opfern des Nationalsozialismus umgehen?

Bernd F. Lunkewitz

Die Staatsanwaltschaft macht sich schadensersatzpflichtig, wenn sie Bilder, die nicht rechtmäßiges Eigentum des Herrn Gurlitt sind, an ihn statt an die Berechtigten herausgibt.

Inzwischen melden sich vereinzelt in der Presse einige Anwälte, die in diesem exotischen und komplizierten Rechtsgebiet – siehe die hilflose Bayrische Staatsregierung  – die Ansprüche der Geschädigten nicht von vornherein als aussichtslos beurteilen und dafür ebenfalls die BGH Entscheidung zur Plakatsammlung Sachs heranziehen.

Allerdings haben sie meistens nicht gesehen,  dass die Frage der Verjährung (oder der Verwirkung) dort nicht die zentrale Frage ist. Die Beklagte hatte dort den Einwand der Verjährung gar nicht erhoben, weshalb der BGH dazu auch nichts ausgeführt hat.

Aber nicht eine Verjährung irgendwelcher Ansprüche, sondern die bisherige Rechtsprechung, nach der die Ansprüche auf Restitution (= Rückerstattung des tatsächlich verlorenen Eigentums) nur nach den alliierten Rückerstattungsgesetzen verfolgt werden konnten, aber deren Fristen längst abgelaufen waren, war bisher das zentrale Problem. Denn durch diese Gesetze wurden nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BGH die sonst gültigen zivilrechtlichen Bestimmungen über das Eigentum verdrängt. Deshalb hat Hildebrand Gurlitt in 1950 mit der schamlosen Behauptung, sie seien sein rechtmäßiges Eigentum, sogar bereits beschlagnahmten Bilder zurückgekommen, denn deren tatsächlichen Eigentümer waren ermordet oder ins Ausland geflohen und wussten nichts von deren Existenz und gegenwärtigen Besitzer Sie konnten daher auch keinen Antrag auf Rückgabe stellen. Darin ist aus heutiger Sicht natürlich keine grobe Fahrlässigkeit der Geschädigten zu sehen. Das belegt nur, wie unzureichend diese Gesetze und vor allem wie fast vorsätzlich benachteiligend die extrem kurze Frist von knapp einem Jahr gewesen ist. Das Interesse der Bundesrepublik am wirtschaftlichen Aufbau, am Rechtsfrieden für die Ariseure, war damals (und heute?) wichtiger.

Es kommt also zunächst jedenfalls gar nicht auf eine Verjährung von 30 oder x Jahren an, sondern im Fall Gurlitt (US Besatzungszone, Gesetz Nr. 59 vom 10.November 1947) auf die Frist bis zum 31.12.1948. Nach Ablauf dieser Frist konnten Anträge nicht mehr gestellt werden, alle Ariseure und nationalsozialistischen Räuber konnten unter dem Beifall der Bundesregierung und des Öffentlichkeit die Beute behalten. Das ist seit 60 Jahren bekannt, aber heute tut man so als wäre das eine Neuigkeit: Also gar keine Verjährung, nur eine Ausschlussfrist! Deshalb konnten in den 50iger Jahren und noch lange später die aus der Nazizeit kommenden Kunsthändler und Räuber – diese Bezeichnung war damals vielfach synonym – auch so ungeniert wirken und in der Gesellschaft ihrer zahlreichen Mittäter auf anderen Gebieten der Arisierung auch wieder zu Ansehen und Wohlstand kommen. Alte Kameraden, Profiteure und Freunde in der Politik und Justiz hatten sie ohnehin genug und die verwiesen jahrzehntelang ganz treuherzig auf die in dem Gesetz festgeschriebene Bestimmung, dass die Restitution aus nationalsozialistischer Verfolgung entzogener, „feststellbarer“ Vermögenswerte nur nach diesem Gesetz gestellt werden konnten, dessen Frist aber leider, leider bereits abgelaufen war.

Der vom BGH jetzt dem Sohn des Sammlers Sachs zugesprochene Herausgabeanspruch nach § 985 BGB („Der Eigentümer kann von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen.“) ist eine längst überfällige Abkehr von dieser zynischen Haltung der frühen bundesrepublikanischen Rechtsprechung und etwas grundlegend anderes als der Restitutionsanspruch auf bereits verlorenes Eigentum.

Der wirksame Herausgabeanspruch in diesen Fällen – Plakatsammlung Sachs aber auch Bildersammlung Gurlitt – setzt erstens voraus, das die rassische Verfolgten den Antrag auf Restitution nicht rechtzeitig stellen konnten, weil der „feststellbare“ Vermögenswert zum Fristablauf wenigstens „subjektiv“ verschollen war, folglich auch der unberechtigte Besitzer als Anspruchsgegner unbekannt war.

Im Fall Plakatsammlung Sachs war der „feststellbare“ Vermögenswert zudem noch außerhalb des Geltungsbereichs der Rückerstattungsgesetze, nämlich in der DDR, belegen, konnte dort gar nicht erfolgreich geltend gemacht werden, weil die DDR bekanntlich nicht restituierte. Die Sammlung Gurlitt war „nur“ verschollen, bzw. vom Ariseur gut getarnt (Behauptung: „alles ist verbrannt“) und versteckt. Das führte dazu, dass die Berechtigten weder die Existenz des „feststellbaren“ Vermögenswertes, noch die Person des unberechtigten Besitzers kannten und daher einen Antrag auf Restitution nach dem Gesetz Nr. 59 nicht stellen konnten. Nach dem Fristablauf hat die Rechtsprechung in der Bundesrepublik mit dem Beharren auf der Ausschlusswirkung der alliierten Rückerstattungsgesetze verhindert, dass ein zivilrechtlicher Herausgabeanspruch entstehen und geltend gemacht werden konnte. Das kann heute den Berechtigten nicht zum Nachteil gereichen, so dass davon auszugehen ist, dass nach § 200 Satz 1 BGB, der bekanntlich nicht auf den Zeitpunkt der Schädigung, sondern auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs abstellt, der zivilrechtliche Herausgabeanspruch erst mit der Entscheidung des BGH im Fall Plakatsammlung Sachs entstanden ist.

Der Rückerstattungsanspruch setzt ferner voraus, dass die rassisch Verfolgten trotzt der Entziehung Eigentümer deshalb geblieben sind, weil aus heutiger Sicht alle damaligen unter Zwang erfolgten Rechtsgeschäfte mit rassisch Verfolgten wegen Sittenwidrigkeit nichtig sind und erst Recht bloße Wegnahmen nicht zum Verlust ihres Eigentums führten. Dabei ist zu beachten, dass nach deutschem Recht das Eigentum ein absolutes Recht ist, das nicht verjähren kann, sondern nur der daraus folgende Herausgabeanspruch. Dieser Einwand – wie auch der der Verwirkung – müsste aber erst mal erhoben werden, von einem Kläger, dessen Erblasser sich die Vermögenswerte sogar selber rechtswidrig angeeignet hatte und der dann jahrzehntelang in diesem Wissen das fremde Eigentum versteckt hat, um die absolute Verjährung zu erreichen. Auf den Einwand der absoluten Verjährung nach § 200 Satz 1 BGB kann sich daher in diesem Fall auch wegen des offensichtlichen Rechtsmißbrauchs der bösgläubige Besitzer Gurlitt nicht berufen.

Der BGH hat in der Sache Plakatsammlung Sachs festgestellt: Wenn der Rückerstattungsanspruch damals aus den genannten Gründen nicht fristgerecht geltend gemacht werden konnte, aber heute sogar nach den allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen die Rückgabe doch möglich wird, tritt wegen des besonderen Schutzzwecks der Rückerstattungsgesetze, nämlich der Schutz des Interesses der Geschädigten an der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands, das allgemeine Zivilrecht und damit der Herausgabeanspruch nach § 985 BGB nicht hinter die Rückerstattungsgesetze zurück. In diesem besonderen Fall der Entziehung außerhalb des Beitrittsgebietes, für das sonst das Vermögensgesetz anwendbar wäre, ist eben zu berücksichtigen, dass der Anspruch auf Herausgabe weder im Dritten Reich, noch in der DDR bestand, bzw. durchsetzbar war und daher frühestens mit dem Untergang der DDR überhaupt erst entstanden ist. Damit würde eine Verjährung solcher Ansprüche erst mit Ablauf des Jahres 2020 eintreten.

Erst nach dieser neuen  Rechtsprechung des BGH kommt es dann bei dem unter den obigen Voraussetzungen doch wirksamen zivilrechtlichen Herausgabeanspruch der rechtmäßigen Eigentümer auf die Verjährung oder die Verwirkung an, die aber aus den von mir dargelegten Gründen beide nicht eingetreten sein können, da die Berufung auf diesen Einwand einem böswilligen unrechtmäßigen Besitzer, der selbst die entzogenen Sachen versteckt und dadurch die Geltendmachung des Anspruchs aktiv verhindert hat, verwehrt sein muss.

Entgegen der Absicht der Staatsanwaltschaft dürfen die Bilder, die Herrn Gurlitt nachweislich nicht zustehen, nur an die berechtigten Eigentümer, nicht aber an den vormaligen unberechtigten Besitzer Gurlitt herausgegeben werden. Andernfalls könnten sich die Behörden schadensersatzpflichtig machen.

Keine Angst: Der Raub an den Juden wird generell nicht neu aufgerollt. Gurlitt bleibt eine Ausnahme.

Es ist sehr auffällig, dass in vielen deutschen Redaktionen von Zeitungen (z.B. FAZ), Zeitschriften (Spiegel) und TV Sendern (z. B. ntv) unter pauschalem Hinweis auf § 200 Satz 1 BGB die vermeintliche Verjährung der Rückgabeansprüche für die bei Gurlitt gefunden Bilder propagiert wird, ohne zu berücksichtigen, dass in diesem Fall der Einwand der Verjährung rechtsmißbräuchlich und daher unzulässig sein könnte.

Vielleicht hat das mit ihrer Rolle als Hüter der Interessen der deutschen Industrie und Wirtschaft zu tun. In der Hinsicht kann ich aber diese Leute aber beruhigen:

In der deutschen Industrie und Wirtschaft muss wegen der Diskussion über die Rückerstattung des nationalsozialistischen Raubguts aus der Sammlung Gurlitt keine Unruhe aufkommen. Sie hat aus dieser Richtung nichts zu befürchten.

Daher zur Beruhigung der Rechtsnachfolger der  Ariseure, die im Dritten Reich aus dem Eigentum der nationalsozialistisch verfolgen Mitbürger „günstig“ Grundstücke, Unternehmen und sonstige Vermögenswerte „erworben“ haben: die neue Rechtsprechung (V ZR 279/10) des BGH zum zivilrechtlichen Herausgabeanspruch des Eigentümers für solche feststellbaren Vermögenswerte gilt nur, wenn sie bis zum Ablauf der in den alliierten Rückerstattungsgesetzen bestimmten Fristen nicht zurückgefordert werden konnten, weil sie „verschollen“ oder versteckt oder unerreichbar (in der DDR) waren und deshalb auch nicht zurückgegeben werden konnten, also Rückerstattungsverfahren überhaupt nicht durchgeführt wurden und wenn der Rückgabeanspruch nicht verjährt ist, bzw. wenn von einem bösgläubigen unrechtmäßigem Besitzer der Einwand der Verjährung nicht rechtsmißbräuchlich erhoben wird.

Alle anderen Fälle, gerade auch hinsichtlich großer ehemals jüdischer Unternehmen, sind längst im Interesse des Rechtsfriedens erledigt. Viele Geschädigte haben damals tatsächlich die entzogenen Vermögensgegenstände zurückerhalten oder eine Nachzahlung erhalten oder sonst nach einem mehr oder weniger angemessenen Ausgleich wirksam auf die Restitution in natura verzichtet. Die meisten „feststellbaren“ Vermögenswerte waren entweder auf dem Gebiet der jeweiligen Rückerstattungsgesetze tatsächlich „feststellbar“ (Grundstücke, Geschäftsbetriebe, Vermögensgegenstände) oder wurden, wenn sie untergegangen waren, entsprechend entschädigt.

Ausgenommen war das Gebiet der DDR, wo erst nach der Wende die Restitution weitgehend durchgeführt worden ist. Hier gibt es wegen der erneut extrem kurzen Ausschlussfrist sicher Härten, die aber von vielen damals am Gesetzgebungsprozess Beteiligten (auch der Jewish Claims Conference) bewusst in Kauf genommen wurden. Denkbar wäre nur, dass die Rechtsprechung eine dem Urteil in der Sache Plakatsammlung Sachs analoge Anwendung auf in der DDR verschollene oder versteckte, damals  durch nationalsozialistische Verfolgung entzogene Vermögenswerte nicht versagen könnte, auch nach Ablauf der absoluten Verjährung im Jahre 2020.

Wenn also die Plakatsammlung Sachs nicht in Berlin Schöneberg, sondern in Mitte weggenommen worden wäre und wenn sie erst nach Ablauf der im Vermögensgesetz festgelegten Antragsfrist, also nach dem 30.6.1993 aufgefunden worden wäre, müsste in seinem solchen Fall entweder das VermG doch anzuwenden sein oder der normale zivilrechtliche Herausgabeanspruch gelten, da die Verjährung erst am 3.10.1990 zu laufen begonnen hat.

Die neue Rechtsprechung des BGH hat auch den großen Vorteil, dass die „ehrlichen“ Ariseure, die ihr Beute nach 1945 angemeldet und nach Beendigung der dortigen Verfahren schließlich behalten durften, im Gegensatz zu den böswilligen, die solche feststellbaren Vermögensgegenstände versteckten und verschwiegen, jetzt nicht mehr belangt werden können. Diese böswilligen Ariseure müssen allerdings – völlig zur Recht – damit leben, dass die Eigentümer der von ihnen rechtswidrig erlangten Vermögensgegenstände noch immer die Herausgabe nach § 985 BGB verlangen können, weil der Einwand der Verjährung rechtsmißbräuchlich wäre. Die Verjährungsfrist für diese Ansprüche läuft erst dann, wenn sie ihre Beute öffentlich bekannt machen. Das müsste für Privatpersonen wie Herrn Gurlitt, aber auch für die Museen und Sammlungen gelten.

Der Herausgabeanspruch auf die Bilder der Sammlung Gurlitt

Die Eigentümer der bei Cornelius Gurlitt gefundenen Bilder, soweit diese in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogen wurden, haben einen zivilrechtlichen Herausgabeanspruch nach § 985 BGB, weil diese Bilder bis zum Ablauf der Fristen nach den alliierten Rückerstattungsgesetzen verschollen, bzw. versteckt und daher für sie auf dem Gebiet der Rückerstattungsgesetze nicht „feststellbar“ waren und die Rückgabe deshalb damals nicht beantragt und erreicht werden konnte. Diesem zivilrechtlichen Anspruch steht in diesem Falle auch nicht der Einwand der absoluten Verjährung nach § 200 Satz 1 BGB entgegen. Der bösgläubige unrechtmäßige Besitzer, die Familie Gurlitt, kann wegen Rechtsmißbrauchs den Einwand der Verjährung nicht geltend machen, da sowohl Hildebrand Gurlitt als auch Cornelius Gurlitt die unrechtmäßig erlangten Bilder jahrzehntlang versteckt und damit die Geltendmachung des Herausgabeanspruchs verhindert haben.

Darüber hinaus ist der Herausgabeanspruch noch nicht zum Zeitpunkt der unrechtmäßigen Wegnahme im Dritten Reich entstanden, da damals diese Art von Rechtsgeschäften oder sogar bloße Wegnahmen als rechtmäßig galten und die jüdischen Eigentümer rechtlos gestellt waren, ihnen also jegliche Ansprüche, auch Herausgabeansprüche auf ihr Eigentum, verwehrt waren. Nach dem Krieg konnten die Ansprüche wiederum nur nach den speziellen alliierten Rückerstattungsgesetzen, die das allgemeine Zivilrecht verdrängten, geltend gemacht werden, wenn die Vermögenswerte tatsächlich auf dem Gebiet der jeweiligen Rückerstattungsgesetze „feststellbar“ waren, was aber die Familie Gurlitt selbst dadurch verhinderte, dass sie die Bilder jahrzehntelang versteckte.

Erst nach der neuen Rechtsprechung des BGH zur Plakatsammlung Sachs, die im Gegensatz zur bisherigen ständigen Rechtsprechung des BGH in den Fällen, in denen die alliierten Rückerstattungsgetze deshalb nicht angewendet werden konnten, weil der betreffende Vermögenswert bis zum Ablauf der Frist nicht „feststellbar“ war, ist daher überhaupt erst der zivilrechtliche Herausgabeanspruch tatsächlich entstanden. 

Die Verjährungsfrist beginnt folglich erst mit der Rechtskraft der Entscheidung in Fall Plakatsammlung Sachs und dem Auffinden der Bilder, genauer sogar erst mit der öffentlichen Bekanntmachung ihrer Existenz und endet nach § 197 (1) Nr. 1 BGB in 30 Jahren, weil erst durch die neue Rechtsprechung des BGH bezüglich der Ausschlussfristen der alliierten speziellen Rückerstattungsgesetze der zivilrechtliche Herausgabeanspruch entstanden ist und nunmehr erst mit hinreichenden Erfolgsaussichten gerichtlich geltend gemacht werden kann. Er richtete sich gegen den jeweiligen Besitzer, z. Zt. daher gegen die Zollverwaltung in Bayern, gegebenenfalls gegen jede sonstige Stelle, die die Bilder in Verwahrung hat. Da die damalige Wegnahme oder die – heute als sittenwidrig und daher nichtig zu beurteilenden – Zwangsverkäufe, nicht zum Verlust des Eigentums daran führten und die Aufgabe des Besitzes nicht freiwillig erfolgte, sind die Sachen den rassisch verfolgten Eigentümern abhandengekommen, so dass nach § 935 BGB – außerhalb öffentlicher Versteigerung – ein gutgläubiger Erwerb durch Dritte ausgeschlossen ist.

Der Herausgabeanspruch der jeweiligen Eigentümer erstreckt sich auch auf solche Bilder, die Hildebrand Gurlitt zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 und sogar in der Zeit nach 1945 aus anderen Quellen erworben hat, wenn sie aus dem geraubten Eigentum rassisch verfolgter Opfer des Nationalsozialismus stammen und sie bei Ablauf der Fristen nach den alliierten Rückerstattungsgesetzen als verschollen galten, bzw. von ihm selbst dauerhaft versteckt wurden, um den rechtmäßigen Eigentümern die rechtzeitige Anmeldung von Anträgen auf Restitution nach den alliierten Rückgabegesetzen unmöglich zu machen.

Der Bundesgerichtshof hat bereits am 16. März 2012 durch das bisher wenig bekannte Urteil in der Sache „Plakatsammlung Sachs“ (V ZR 279 / 10) die Rückgabe der im Dritten Reich entzogenen Vermögensgegenstände in Abgrenzung zu seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung völlig neu geregelt, wenn sie – wie auch die jahrzehntelang versteckten Bilder der Sammlung Gurlitt – bis zum Ablauf der gesetzlich festgelegten Fristen auf dem Gebiet der alliierten Rückerstattungsgesetze nicht „feststellbar“ waren, weil sie z. B. verschollen waren und deshalb nicht zurückgegeben werden konnten.

Die Fristen für Anträge auf Restitution feststellbarer Vermögenswerte in den nach 1945 erlassenen alliierten Rückerstattungsgesetzen sind zwischen dem 31.12.1948 (Amerikanische Besatzungszone) und dem 30.6.1950 (alliierte Besatzungszonen Berlin) abgelaufen. Die Antragsfrist nach dem Vermögensgesetz, dass nach der Entscheidung des BVerwG zur Rütten & Loening nur solche Vermögenswerte erfasst, die zum Zeitpunkt der Schädigung auf dem Gebiet der späteren DDR belegen waren, lief am 30. 6.1993 ab.

Damit war der Rechtsweg zur Restitution von verfolgungsbedingt entzogenen Vermögenswerten aus heute privatem Besitz – z. B. die Bilder aus der Sammlung Gurlitt – für jegliche von den Nazis geraubten Vermögenswerte schon lange und endgültig ausgeschlossen. Jeder Ariseur oder nationalsozialistische Räuber könnte die erbeuteten Vermögenswerte und Kunstwerke behalten und sich, z. B. im Falle rechtsradikaler Gesinnung, sogar öffentlich damit brüsten.

Der Ausgangspunkt für die neue Rechtsprechung des BGH war das Rückgabebegehren des Erben nach dem jüdischen Sammler Dr. Sachs, dem im Jahre 1938 in West Berlin eine wertvolle Plakatsammlung weggenommen worden war, die nach dem Krieg als verloren oder verschollen galt, aber in den sechziger Jahren in einem Ostberliner Museum entdeckt wurde. Er hatte unter Berufung auf die Washingtoner Erklärung zur Rückgabe von entzogenen Kulturgütern aus jüdischem Eigentum die Rückgabe der inzwischen im Deutschen Historischen Museum in Berlin aufbewahrten Sammlung verlangt. Das Museum hatte unter Berufung auf Verwirkung und die Versäumung der rückerstattungsrechtlichen Fristen die Rückgabe verweigert, allerdings den Einwand der Verjährung nicht erhoben. 

Da für die in Westberlin entzogene und erst danach in den Ostteil der Stadt auf das Gebiet der späteren DDR verbrachte Plakatsammlung das Vermögensgesetz nicht anwendbar war, klagte der Erbe nach Dr. Sachs vor dem Landgericht Berlin, das überraschend der Klage stattgab. Das Kammergericht verwies als Berufungsinstanz jedoch auf die ständige Rechtsprechung des BGH zum Vorrang der alliierten Rückerstattungsgesetze einschließlich der dort festgelegten Fristen hin und wies die Klage ab.

Der BGH entschied als Revisionsinstanz zu Gunsten des Klägers und sprach ihm einen Herausgabeanspruch nach § 985 BGB zu.

Der BGH urteilte, dass in Berücksichtigung des besonderen Schutzzwecks der alliierten Rückerstattungsgesetze, nämlich der Schutz des Interesses an der Wiedererlangung geraubter Güter, die Geschädigten nicht schlechter gestellt werden dürften, als sie es nach dem allgemeinen Zivilrecht beanspruchen könnten.

Daher werden die allgemeinen zivilrechtlichen Herausgabeansprüche nicht durch die Sperrwirkung der Rückerstattungsgesetze verdrängt, wenn der betreffende Vermögensgegenstand bis zum Ablauf der Anmeldefristen auf dem jeweiligen Gebiet der alliierten Rückerstattungsgesetze nicht feststellbar gewesen war – weil er verschollen war  –  und deshalb oder aus sonstigen Gründen, nicht zurückgegeben werden konnte und wenn dieses Hindernis nach Ablauf der Anmeldefrist entfällt und damit die Rückgabe möglich wird.

Andernfalls, so der BGH, werde ausgerechnet wegen des Vorrangs der Rückerstattungsgesetze vor dem allgemeinen Zivilrecht das nationalsozialistische Unrecht perpetuiert: „Die alliierten Rückerstattungsbestimmungen hätten dem Berechtigten damit jede Möglichkeit genommen, die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands zu verlangen und auf diese Weise das nationalsozialistische Unrecht perpetuiert. Ein solches Ergebnis ist mit dem Sinn und Zweck dieser Bestimmungen, die Interessen des Geschädigten zu schützen, nicht zu vereinbaren.“

Durch bloße Wegnahme oder Enteignung oder Zwangsverkauf in der Zeit des Nationalsozialismus haben die rassisch Verfolgten ihr Eigentum nicht verloren. Die Opfer der Verfolgung sind damals in ihren absoluten Rechten – Freiheit, Freiheit der Willensbetätigung, Leben und Gesundheit, allgemeines Persönlichkeitsrecht, Eigentum – verletzt worden. Diese Rechte sind keine Ansprüche. Sie wirken  gegen jedermann und können nicht verjähren. Die etwaige Verjährung daran anknüpfender Folgeansprüche – Herausgabe (985 BGB) oder Beseitigung, (§ 1004 BGB) – lässt das absolute Recht unberührt.

Hildebrand Gurlitt ist damals dementsprechend nicht Eigentümer, sondern lediglich unrechtmäßiger Inhaber der tatsächlichen Gewalt über die fremden, abhanden gekommenen Kunstwerke geworden und konnte mangels Verfügungsmacht daran kein Eigentum erwerben oder übertragen und, da die Vermögenswerte vor Ablauf der Fristen nach dem Rückerstattungsgesetzen verschollen waren, bzw. er sie selbst versteckt hatte, muss sein Erbe heute auf Verlangen der Eigentümer oder deren Erben die Sachen herausgeben.

Die absolute Verjährungsfrist beträgt zwar nur 30 Jahre, die seit der Wegnahme im Dritten Reich längst abgelaufen sind. Der § 200 Satz 1 BGB („Die Verjährungsfrist von Ansprüchen, die nicht der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegen, beginnt mit der Entstehung des Anspruchs“) stellt jedoch nicht auf den Zeitpunkt der Schädigung, sondern auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs ab. Deshalb ist zu beachten, dass die zivilrechtlichen Herausgabeansprüche der Geschädigten wie oben dargelegt – wegen Rechtlosigkeit der Juden im Dritten Reich – bis 1945 nicht entstanden waren und auch noch nach 1945 nicht entstanden, bzw. nicht geltend gemacht werden konnten, weil sie dann von den speziellen alliirten Rückestattungsgesetzen verdrängt wurden. Damit beginnt eine Verjährung solcher Ansprüche erst, nach dem der BGH im Fall der Plakatsammlung Sachs durch rechtskräftiges Urteil festgestellt hat, dass zivilrechtliche Ansprüche auf Herausgabe durch die allierten Rückerstattungsgesetze jedenfall dann nicht verdrängt werden, wenn die Anträge auf Restitution damals nicht gestellt werden konnten, weil die feststellbaren Vermögenswerte verschollen waren. Erst mit dieser Rechtssprechung des BGH sind für die berechtigten Eigentümer überhaupt erst die zivilrechtlichen Herausgabeansprüche entstanden, die in nunmehr dreißig Jahren verjähren.

Eine Verwirkung der Herausgabeansprüche wäre nur dann eingetreten, wenn die Geschädigten oder deren Erben für jeden einzelnen Vermögensgegenstand eindeutig zum Ausdruck gebracht hätten, von ihren Rechten Abstand nehmen zu wollen, so dass der für eine Verwirkung erforderliche Vertrauenstatbestand vorläge.

Die hier geschilderte Rechtslage gilt für die bei Cornelius Gurlitt gefundenen Bilder ebenso wie für die unbekannte Anzahl von bisher noch verschollenen oder versteckten im Dritten Reich verfolgungsbedingt entzogenen Vermögenswerten, für die deshalb bis zum Ablauf der Fristen kein Restitutionsantrag gestellt werden konnte.

Bernd F. Lunkewitz

Die „entartete Kunst“ aus der Sammlung Gurlitt könnte an die berechtigten Museen herausgegeben werden

Hinsichtlich der Werke aus den Beständen der deutschen Museen, die als „entartete“ Kunst vom Reichspropagandaministerium dem Kunsthändler Hildebrand Gurlitt zur Verwertung überlassen wurden, könnten die betroffenen Museen auch jetzt noch als Eigentümer einen zivilrechtlichen Herausgabeanspruch nach § 985 geltend machen. Es spricht nämlich vieles dafür, dass Hildebrand Gurlitt diese Werke rechtlich nicht übereignet wurden, sondern dass sie als Kommissionsware bis zum vollzogenen Verkauf ins Ausland im Eigentum des Dritten Reiches blieben, da sie im Inland – auch im privaten Eigentum –  gerade als unerwünscht galten und – sofern ein Verkauf ins Ausland nicht möglich war – aus nationalsozialistischen weltanschaulichen Gründen prinzipiell sogar vernichtet werden sollten. Ein tatsächlicher Eigentumserwerb durch Hildebrand Gurlitt war daher aus Sicht der damals zur Ablieferung der Kunstwerke gedrängten Museen und erst recht aus Sicht des nach dem „Gesetz über die Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“ vom 31. Mai 1938 allein darüber entscheidungsbefugten Reichskanzlers und Führers folglich nicht gewollt und damit nach damaligem Verständnis auch ausgeschlossen bzw. unwirksam. Wenn Hildebrand Gurlitt aber lediglich der Besitz an den Bildern eingeräumt wurde mit der damit verknüpften Auflage des Reichspropagandaministeriums, die im Deutschen Reich unerwünschten Bilder zugunsten des Reiches im Ausland zu verkaufen, sind die Bilder entweder mangels rechtzeitiger Durchführung des Verkaufsauftrages noch immer Eigentum der betreffenden Museen oder der sonstigen staatlichen Stellen des Deutschen Reiches – heute der Bundesrepublik Deutschland, die bekanntlich rechtlich mit dem Deutschen Reich identisch ist – oder Hildebrand Gurlitt hätte versucht, sich die Bilder entgegen des vertraglichen Auftrags in aus damaliger Sicht arglistigen Weise anzueignen. Durch die damit verbundene Täuschung seines damaligen Auftraggebers, auch wenn es sich dabei um eine staatliche Stelle des Dritten Reiches handelte, konnte Hildebrand Gurlitt das Eigentum an diesen Werken jedoch nicht wirksam begründen. Sollte er die Absicht gehabt haben, die Bilder durch heimliches Beiseiteschaffen vor der möglichen Vernichtung zu bewahren, wäre das aus heutiger Sicht zwar lobenswert, er hätte aber auch dadurch kein Eigentum daran erworben. Auch der eventuell erst später gefasste Beschluss, die „geretteten“ Bilder für sich selber zu behalten, begründet keinen Eigentumsanspruch. Nur die über Hildebrand Gurlitt und andere beauftragte Kunsthändler tatsächlich damals auftragsgemäß ins Ausland verkauften Werke sind für die betroffenen Museen daher endgültig verloren, da sie, bzw. die entsprechende Reichsbehörde im Auftrag des Reichskanzlers als rechtmäßiger Eigentümer den Verkaufsauftrag erteilt hatten und daher für eine Rückforderung keine Rechtsgrundlage besteht. Die aber damals noch nicht auftragsgemäß verkauften Werke sind von Cornelius Gurlitt jedoch als unverkaufte Kommissionsware aus dem Besitz seines Vaters an die jeweiligen Museen als deren Eigentümer zurückzugeben. Da die Bilder von Hildebrand Gurlitt und später von Cornelius Gurlitt jahrzehntelang versteckt wurden, hatten die berechtigten Museen als deren Eigentümer keine Kenntnis vom Verbleib der Bilder und deren gegenwärtigem Besitzer, bzw. dem Anspruchsgegner des Herausgabeanspruchs. Daher ist eine Verjährung der Rückgabeansprüche nicht eingetreten. Ein Verwirkung des Anspruchs ist ebenfalls nicht eingetreten, weil die Museen als Eigentümer zu keiner Zeit erklärt haben, auf ihre Rechte bezüglich damals nicht auftragsgemäß verkaufter, sondern lediglich verschollener oder versteckter Bilder verzichten zu wollen.

Bernd F. Lunkewitz

Rechtsbruch zu Lasten der im Dritten Reich verfolgten Juden

 

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat durch sein Urteil vom 25.11.2008 (BVerwG 8 C 12.08) die Rückgabe des Verlages Rütten & Loening an die Erben der vom nationalsozialistischen Deutschland aus rassischen Gründen ermordeten bzw. vertriebenen Verleger mit der Begründung abgelehnt, dass die Bestimmungen des § 1 Abs. 6 Vermögensgesetzes für diesen Fall nicht anwendbar seien.

Den wahren Grund für diese sowohl dem deutschen und internationalen Recht als auch den Denkgesetzen hohnsprechende Entscheidung findet man aber nicht in diesem Urteil.

Es ist dies auch kein rechtlicher, sondern ein fiskalischer Grund. Denn die Rückgabe des Verlages hätte – unabhängig von den Prozessen um die Fehler und Betrügereien der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) bei dem Verkauf der Verlage Aufbau und Rütten & Loening  – wegen des vertraglich vereinbarten Junktims der beiden Verkäufe zur vollständigen Rückabwicklung dieser Privatisierungsverträge und damit zum Ersatz aller Aufwendungen und Investitionen der betrogenen Käufer geführt.

Die Behörden hatten deshalb schon den am 3.10.1990 gestellten Restitutionsantrag mehr als 10 Jahre vor den Käufern verheimlicht, nicht obwohl, sondern weil sie von deren erheblichen Investitionen in die beiden Verlage wussten. Es ging in Wahrheit also gar nicht um einen Verlag im Wert von 50.000 €, sondern inoffiziell –  aber allen Beteiligten bekannt – um die Abwehr eines daraus folgenden Entschädigungsfalls in Höhe von mindestens 30 Millionen €. Bei solchen Beträgen steht das fiskalische Interesse dann im Einzelfall doch über dem Gesetz, erst recht über dem § 1 Abs. 6 Vermögensgesetz, dessen Bestimmungen sowieso nur als – generöses – Entgegenkommen zugunsten der stets „undankbaren und unzufriedenen“ Juden verstanden werden.

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte diesen Zusammenhang der Restitution mit dem Verkauf der Verlage zwar auch gesehen, aber sich von den drohenden indirekten fiskalischen Folgen nicht davon abhalten lassen, unabhängig und gesetzeskonform nach der Rechtslage zugunsten der Antragssteller zu entscheiden (VG 29 A 260.07).

Die Zusammensetzung der kriminellen Treuhandbande mag sich im Laufe der Zeit geändert haben, aber noch immer reicht ihr Einfluss zur Beeinflussung mancher Gerichte aus.

Das Bundesverwaltungsgericht ist dafür allerdings ein relativ leichtes Ziel, weil seine Richter besonders eng mit den Spitzen der staatlichen Verwaltung verwoben sind und die fiskalischen und politischen Interessen der Bundesregierung für sie regelmäßig bei der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen maßgeblich sind.

Um in diesem Sinne die für den Fiskus sehr nachteilige Rückabwicklung des Verkaufs der Verlage zu verhindern, musste unbedingt die Restitution des Verlages Rütten & Loening abgelehnt werden und wurde abgelehnt und musste nach außen dafür auch eine einigermaßen juristisch klingende „Begründung“ gefunden werden.

Damit stellte sich das Bundesverwaltungsgericht auf die gleiche Stufe wie später die für Staatshaftungssachen sonderzuständige berüchtigte 9. Zivilkammer des Landgerichts Berlin und das Kammergericht bei der Abwehr der berechtigten Schadensersatzansprüche der Investoren gegen den Bund in den dortigen Zivilprozessen.

In dem vorauseilenden Eifer, der Obrigkeit gefällig zu sein, behauptet das BVerwG, ohne irgendeine Begründung und entgegen des substantiierten und unbestrittenen Vortrags der Kläger, dass die Rütten & Loening GmbH 1990 durch Umwandlung nach dem Treuhandgesetz (THG) entstanden sei. Warum und auf welchem Weg der Amtsermittlung das BVerwG diesen für das Urteil irrelevanten weil hier nicht entscheidungserheblichen Sachverhalt festgestellt haben will und warum das so im Urteil steht, wird leider das Beratungsgeheimnis der Richter bleiben. Allerdings entspricht diese – unzutreffende – Darstellung völlig den Interessen der BvS in den parallel laufenden Zivilverfahren. Irgendwer muss den Richtern diese Darstellung irgendwie „erklärt“ haben.

Für manche Richter gehören „kleine“ Ungerechtigkeiten zu Gunsten des Fiskus zu ihrem Dienst für das Vaterland, sie haben dabei auch kein schlechtes Gewissen, da sie ja der Ansicht sind, damit der Allgemeinheit zu dienen. In alter Tradition halten sie das Interesse der Regierung für das Interesse des Staates und das Interesse des Staates für das Interesse des Volkes, in dessen Namen sie Recht sprechen sollen. Dass die unparteiische Anwendung des Rechts ohne Ansehung der Person ihr bester Dienst an der Allgemeinheit sein könnte, kommt ihnen nicht in den Sinn.

Den Wunsch der Obrigkeit erfüllten die Richter des BVerwG in dem Fall Rütten & Loening auf Kosten der Erben des 1942 ermordeten Verlegers Wilhelm Ernst Oswalt durch ein aus den genannten sachfremden Gründen gefälltes Urteil, dessen vorgeschobene Begründung leicht durchsichtig gegen das geltende Recht und die Denkgesetze verstößt:

Da der Zwangsverkauf des Verlages im Jahre 1936 in Frankfurt am Main stattfand, hätten nach der Behauptung des BVerwG bereits die nach 1945 erlassenen alliierten und bundesdeutschen Rückerstattungsregelungen den Fall Rütten & Loening „normativ“ (gesetzlich) erfasst. Weil aber der Verlag seit 1936 seinen Sitz in Potsdam, also auf dem Gebiet der späteren DDR hatte, sei nach 1945 die Restitution des Unternehmens an die Berechtigten jedoch trotz der Geltung der Gesetze für diesen Fall „unmöglich“ gewesen und deshalb wäre damals an die Stelle der „unmöglichen“ Rückgabe ein – gleichwertiger – gesetzlicher („normativer“) Schadensersatzanspruch gegenüber dem westdeutschen Staat entstanden. Ob dieser Anspruch damals verfolgt und befriedigt wurde, sei heute unerheblich.

Diese „normative“ Betrachtungsweise sei ausreichend, denn nach ihr sei durch die damaligen gesetzlichen Regelungen auch der Fall Rütten & Loening „grundsätzlich“ erfasst gewesen. Mit Blick auf das Bundesverfassungsgericht erklärte das BVerwG weiter, es stünde mithin jedenfalls fest, dass keine vom Vermögensgesetz zu schließende rechtliche Regelungslücke hinsichtlich der Wegnahme des Verlages vorhanden sei, unabhängig davon, ob das die damals damit befassten Gerichte erkannt hätten (mit anderen Worten: egal wie die bisherige Rechtsprechung war).  Das von der DDR erlassene Vermögensgesetz sei hier jedenfalls nicht anwendbar, da es die damaligen gesetzlichen Regelungen und rechtskräftigen Entscheidungen nicht verändern oder verbessern sollte.

Damit stellt das BVerwG allein auf die Belegenheit des Vermögenswertes zum Zeitpunkt der Entziehung ab – obwohl das Vermögensgesetz dazu nichts aussagt – und behauptet, dass § 1 Abs. 6 des Gesetzes nicht auf alle den Verfolgten des Naziregimes im Deutschen Reich entzogenen und heute noch auf dem Gebiet der DDR feststellbaren Vermögenswerte anwendbar ist, sondern nur auf solche, die ursprünglich auf dem späteren Gebiet der DDR entzogen wurden. Nur solche Vermögenswerte seien angeblich damals nicht „normativ“ durch die damaligen westdeutschen Rückerstattungs- oder Entschädigungsregelungen erfasst worden und unterfielen daher heute dem Vermögensgesetz. Als Umkehrschluss folgt daraus der für den Fiskus günstige Umstand, dass die Bundesrepublik alle von den Nazis in Westdeutschland entzogenen und zur Zeit des Dritten Reiches in das spätere Beitrittsgebiet gebrachten Vermögenswerte, die anschließend in Volkseigentum (= Staatseigentum) geraten waren, heute behalten kann.

Diese Begründung des BVerwG beruht auf einem plumpen semantischen Trick, nämlich der absichtlichen Verwechslung normativer Begriffe durch die unzutreffende Ersetzung des Begriffes „Zuständigkeit“ durch den Begriff „Unmöglichkeit“.

Nach den alliierten und bundesdeutschen Rückerstattungsgesetzen und der gefestigten Rechtsprechung dazu entstand – an Stelle der gesetzlich bestimmten Rückgabe – ein Schadensersatzanspruch im Geltungsbereich dieser Gesetze nur dann, wenn der Vermögenswert nach der Entziehung untergegangen und/oder nicht mehr feststellbar war und erst dadurch die Rückgabe endgültig „unmöglich“ wurde.

Nach diesem Urteil des BVerwG aber entstand im Fall Rütten & Loening angeblich der gesetzliche Entschädigungsanspruch durch die „Unmöglichkeit“ der Rückgabe nach den alliierten und bundesdeutschen Restitutionsregeln bereits dadurch, dass der feststellbare Vermögenswert (hauptsächlich Firmen- und Verlagsrechte) tatsächlich zwar noch vorhanden und feststellbar, aber nur in einem anderen Hoheitsgebiet, hier der DDR, belegen war, für dass die bundesdeutschen Gerichte keine Rechtsmacht hatten, weil sie dort nicht zuständig waren.

Dass aber eine Rückgabe des Verlages Rütten & Loening nach 1945 grundsätzlich doch „möglich“ war, erhellt schon daraus, dass Dritte, nämlich die DDR, bzw. die Gesellschafter der dortigen Rütten & Loening GmbH, jederzeit in der Lage gewesen wären, den Vermögenswert herauszugeben. Die Rückgabe wäre auch wirksam gewesen, denn grundsätzlich waren auch in der DDR die Firmen- und Verlagsrechte ausländischer, insbesondere westdeutscher Unternehmen, gesetzlich anerkannt und konnten auch dort nur auf vertraglicher Grundlage genutzt werden. Rechtlich bestand damals also nicht eine „Unmöglichkeit“ der Rückgabe, sondern nur die mangelnde Zuständigkeit, bzw. Rechtsmacht der bundesdeutschen Gerichte, das für das Gebiet der DDR anzuordnen.

Tatsächlich haben in der DDR durchgehend staatlich anerkannte private Verlage existiert und ist es nach 1945 sogar zur Sitzverlegung ostdeutscher Verlage nach Westdeutschland gekommen, die anschließend auch in der DDR – als ausländische Verlage – anerkannt wurden und dort im gewissen Umfang, z. B. durch Lizenzvergabe, nach DDR Recht tätig sein konnten.

Nicht die Rückgabe des Verlages, sondern die Anwendung der alliierten und bundesdeutschen Rückerstattungsregeln durch westdeutsche Gerichte war in der DDR „unmöglich“, weil die bundesdeutschen Gerichte schlicht nicht zuständig waren. Das haben nach dem Krieg alle damit befassten bundesdeutschen Gerichte zutreffend so beurteilt. Aus diesem Grunde waren die damaligen Anträge der Geschädigten auf Restitution „unzulässig“, da sie die Zuständigkeit der westdeutschen Gerichte für die Rückgabe eines in der DDR belegenen Vermögenswertes nicht  begründen konnten – gerade bei „normativer Betrachtungsweise“. Aus diesem Grunde bestanden damals in Westdeutschland auch „normativ“ weder ein Rückgabe-, noch ein Entschädigungsanspruch für die Entziehung des Verlages Rütten & Loening.

Alle damals angerufenen Gerichte und Behörden haben unter Hinweis auf die Existenz des Verlages in der DDR dargelegt, dass nur dann, wenn der in Frankfurt am Main entzogene Vermögenswert – der Verlag – nicht mehr feststellbar oder nachweislich im Dritten Reich untergegangen gewesen wäre, nach bundesdeutschem Recht eine „normative“ Erfassung durch den wegen der Entziehung in Frankfurt am Main dann begründeten Entschädigungsanspruch für die nicht mehr „feststellbaren“ Vermögenswerte bestanden hätte.

Auch die Urteile des LG Bielefeld und des OLG Hamm aus den 1960iger Jahren bestätigen, dass wegen des Territorialprinzips die westdeutschen Gesetze in der DDR nicht galten und die westdeutschen Gerichte in der DDR nicht zuständig waren. Damals wurde der Ariseur Dr. Hachfeld zwar hinsichtlich der Namensrechte für das Gebiet der Bundesrepublik geschützt, weil dessen entschädigungslose Enteignung durch die Sowjetische Militäradministration in Westdeutschland nicht anerkannt wurde und folglich dem in der DDR ansässigen Verlag R&L die Führung der Namensrechte für das Gebiet der BRD, nicht aber für das Gebiet der DDR untersagt. Das Eigentum der dortigen Gesellschafter an dem in der DDR residierenden Verlag Rütten & Loening blieb aber unangetastet, erst recht die Verlags- und Urheberrechte des Ostberliner Verlages auch für Gebiet der Bundesrepublik. Der zunächst volkseigene, später wieder private Verlag war (und ist) identisch mit dem 1936 zwangsverkauften Verlag und blieb anerkannter Inhaber aller Namens- und Verlagsrechte auf dem Gebiet der DDR.

Neben den materiellen Vermögensgegenständen des Verlages (Büroeinrichtung, Bücherbestände, Archivalien, etc.) waren diese immateriellen Verlags- und Urheberrechte, insbesondere für das Gebiet der DDR, der wesentliche Vermögenswert des Verlages Rütten & Loening, für dessen Rückgabe die bundesdeutsche Justiz nicht zuständig war und auch keine Rechtsmacht gehabt hätte. Durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik sind diese Rechte – insbesondere für das Gebiet der neuen Bundesländer – aber keinesfalls erloschen, sondern bestehen unverändert fort, denn auch das Verlags- und Urheberrecht folgt dem Territorialprinzip. Umgekehrt erstrecken diese Rechte sich nun sogar auf das gesamte Gebiet der Bundesrepublik.

Die Enteignungen 1945 bis 1949  wurden nach der Wende nicht rückgängig gemacht, so dass der Ariseur die Rechte an dem Verlag auch heute wirksam an das Volkseigentum verloren hatte. Die DDR hatte ihn nicht an die verfolgungsbedingt Geschädigten zurückgegeben. Genau für diese Fälle wurde die Regelung des § 1 Abs. 6 des Vermögensgesetzes geschaffen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dieses Gesetz vorsätzlich gebrochen.

Wie und warum die Firmen- und Verlagsrechte auf dem Hoheitsgebiet der DDR, außerhalb des Geltungsbereichs der alliierten und bundesdeutschen Gesetze, trotzdem in „normativer“ oder sonstiger „Betrachtungsweise“ den damaligen alliierten und bundesdeutschen Restitutions- und Entschädigungsgesetzen unterfallen sein sollen, legt das Bundesverwaltungsgericht nicht dar und kann es auch nicht darlegen.

Wenn die These des BVerwG von der Geltung dieser Gesetze auch auf dem Gebiet der DDR zuträfe, und nur die Rückgabe „unmöglich“ gewesen wäre, ist auch nicht erkennbar, warum dann nicht auch die dort originär entzogenen Vermögenswerte „normativ“ erfasst gewesen wären, mit der absurden Folge, dass der § 1 Abs. 6 VermG insgesamt nicht anwendbar wäre.

Umgekehrt unterfielen in Westdeutschland selbstverständlich auch die zur Zeit des Dritten Reiches verfolgungsbedingt auf dem späteren Gebiet der DDR entzogenen Vermögenswerte den alliierten und westdeutschen Rückerstattungsgesetzen, wenn sie in der Zeit des Nationalsozialismus nach Westdeutschland oder Westberlin, also in den späteren Geltungsbereich dieser Gesetze geraten und dort feststellbar waren.

Die „Begründung“ des BVerwG in dem Fall Rütten & Loening, den Verlag mit seinen insbesondere auf dem Gebiet der DDR bestehenden Rechten und Vermögensgegenständen nicht durch Anwendung des Vermögensgesetzes zurückzugeben, weil er 1936 in Frankfurt am Main entzogen wurde, ist daher eine rein opportunistische Entscheidung zur rechtswidrigen Abwehr der Rückgabeansprüche der Berechtigten und vor allem eine gleichermaßen aus sachfremden Motiven gespeiste Unterstützung der BvS in dem zivilen Rechtsstreit über den Schadensersatz für die Folgen der gescheiterten Privatisierung des Verlages in Jahre 1991.

Die Bundesrepublik Deutschland verstößt damit gegen das geltende Recht und darüber hinaus gegen ihre völkervertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Westmächten aus der Vereinbarung vom 27./28.09.1990, in der sie zusagte, „auf dem Gebiet der gegenwärtigen Deutschen Demokratischen Republik und in Berlin“ die alliierten und bundesdeutschen Wiedergutmachungsregelungen nicht zu umgehen.

Die Richter Gödel, Dr. Pagenkopf, Dr. von Heimburg, Dr, Deiseroth, Dr. Held-Daab haben sich um die Staatskasse verdient gemacht.