Archiv für den Monat: August 2013

Der Prozess vor dem Verwaltungsgericht um Rütten & Loening

Der Verlag Rütten & Loening OHG, der Originalverlag des „Struwwelpeter“, eine literarische Institution bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts, wurde – 1844 von zwei jüdischen Familien gegründet – im Jahre 1936 „arisiert“ und umgehend von Frankfurt am Main nach Potsdam verlegt.

Die in Frankfurt vor 1933 hoch angesehenen Verleger ereilte das Schicksal der meisten deutschen Juden: Sie wurden entrechtet und ihres Vermögens beraubt.

Wilhelm Ernst Oswalt wurde 1942 im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg ermordet.

Dr. Adolf Neumann floh aus Deutschland und verstarb im Exil in Schweden.

Die nach Kriegsende von den Geschädigten bzw. ihren Erben zahlreich gestellten Anträge auf Rückgabe des Verlages oder Entschädigung wurden nach dem Krieg von den westdeutschen Behörden unisono als unzulässig – aber nicht als unbegründet – abgelehnt, weil der Verlag bereits seit 1936 außerhalb des späteren Geltungsbereiches der alliierten und bundesdeutschen Gesetze, nämlich in der damals Sowjetisch besetzten Zone, bzw. der DDR, belegen war.

Dort wurde immerhin der Ariseur entschädigungslos enteignet, der Verlag geriet in Volkseigentum, dann wieder in privates Eigentum, schließlich geriet er auf kompliziertem Wege faktisch in die Hände der Treuhandanstalt, die ihn 1991 verkaufte, was allerdings auch schon aus anderen Gründen unwirksam war.

Am 3. Oktober 1990 hatten die Erben des ermordeten Verlegers den Antrag auf Restitution des Verlages beim Amt für offene Vermögensfragen entsprechend § 1 Abs. 6 des Vermögensgesetzes gestellt, wonach die Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands, „die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben“ die Rückgabe des entzogenen Vermögens oder eine Entschädigung verlangen können.

Dieser Antrag wurde im Sommer 2003, nach 13 Jahren Verschleppung, von der Behörde abgelehnt, weil das Vermögensgesetz auf diesen Fall nicht anzuwenden sei.

Das von den Erben dagegen angerufene Verwaltungsgericht Berlin urteilte zunächst zu Gunsten der Antragsteller. Das von der Behörde und der ehemaligen Treuhandanstalt angerufene Bundesverwaltungsgericht hob das Urteil jedoch auf und bestätigte im Jahre 2011 endgültig den Bescheid des Vermögensamts.

Das Bundesverwaltungsgericht begründete dies damit, dass nach seiner Ansicht das Vermögensgesetz nur dann anwendbar ist, wenn der betreffende Vermögenswert auch bereits zum Zeitpunkt der „Wegnahme“ auf dem späteren Gebiet der DDR belegen war. Vermögensgegenstände, die im späteren Bundesgebiet, außerhalb des Gebiets der DDR geraubt und dann später – noch zur Zeit des Dritten Reiches – dorthin verbracht wurden, seien vom Vermögensgesetz nicht erfasst, folglich auch heute nicht zurückzugeben, da es an der dafür notwendigen „Gebietsbezogenheit“ fehlen würde.

Damit erklärt das Gericht, dass auch eine Belegenheit des Betriebes seit 1936 in Potsdam und ab 1952 bis zu Wende in Berlin Ost, also für insgesamt mehr als 50 Jahre, für die notwendige Gebietsbezogenheit keinesfalls ausreiche, da – so kann man unterstellen – zu dieser Zeit und an diesem Ort der Jude durch den Entzug des Betriebes nicht mehr geschädigt worden sei, weil der Betrieb ja schon vorher geraubt  und der Räuber dessen Eigentümer wurde.

Um den Schein der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, erklärte das BVwG dazu:

„Das Vermögensgesetz begründet bei Schädigungen, die bereits dem alliierten Rückerstattungsrecht oder dem in der Bundesrepublik geltenden Wiedergutmachungsrecht unterfielen, keine neuen weitergehenden Ansprüche. Es bezweckt weder eine „Nachbesserung“ der dort geregelten Rechtsfolgen noch eine Korrektur damaliger Entscheidungen.   (Pressemitteilung des BVwG Nr. 79/2009)

Nach den gesetzlichen Bestimmungen (Normen) habe das alliierte und bundesdeutsche Rückerstattungs- und Entschädigungsrecht für den Zwangsverkauf in Frankfurt am Main angeblich gegolten. Leider sei es damals in Ost-Berlin nicht durchsetzbar gewesen, was aber an der Geltung der Norm nichts ändere, sondern nur zur Unmöglichkeit der Restitution geführt habe, was aber zu einem – gleichwertigen – Entschädigungsanspruch geführt habe.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob dieser Entschädigungsanspruch damals tatsächlich geltend gemacht und befriedigt wurde, denn die bloße gesetzliche Möglichkeit dazu reiche aus.

Daher haben die Geschädigten, die in der vom Gesetzgeber extrem kurz gefassten Frist bis zum 31.12.1992 tatsächlich einen Antrag gestellt haben, weil nunmehr die Restitution auch auf dem Gebiet der DDR gesetzlich geregelt war, nach dem Vermögensgesetz keinen Rechtsanspruch auf Restitution oder Entschädigung, wenn der entsprechende Vermögensgegenstand außerhalb des Gebiets der späteren DDR geraubt und danach, während der Zeit des Nationalsozialismus, lediglich dorthin verbracht worden ist.

Zweifellos wäre in der DDR nach dem 8. Mai 1945 geraubtes „jüdisches“ Vermögen, darunter auch der Verlag Rütten & Loening restituiert worden, wenn in der SBZ oder der DDR vergleichbare Rückerstattungsgesetze vorhanden gewesen und angewendet worden wären. Dieses auf Grund der SED Politik absichtliche Versäumnis der DDR jetzt durch die Bestimmungen des § 1 Abs. 6 des Vermögensgesetzes nachzuholen, war auch die Absicht der Volkskammer. Beim Erlass des Vermögensgesetzes ging es darum, alles vom Nationalsozialistischen Deutschland geraubte Vermögen zurückzugeben, sofern es auf dem Gebiet der DDR noch vorhanden und feststellbar war. Aber dieser Wille des ersten frei gewählten Parlaments der DDR wurde vom Bundesverwaltungsgericht – aus fiskalischen Gründen – torpediert, denn das Restitutionsverfahren lief vor dem Hintergrund des Rechtsstreits um die Privatisierung des Verlages zusammen mit dem Aufbau-Verlag durch die BVS. Die Behörden hatten die Erwerber über den Restitutionsantrag nie informiert. Wäre es aber zu einer Restitution des Verlages Rütten & Loening gekommen, wäre auch der Verkauf des Aufbau-Verlages rückabzuwickeln gewesen. Dieses, für die BVS sehr teure Ergebnis hat das Bundesverwaltungsgericht dadurch erfolgreich abgewehrt, dass es die berechtigten Forderungen der Erben der Verleger von Rütten & Loening mit dieser fadenscheinigen Begründung abgewiesen hat.

Nach dem Krieg bekamen die Erben des ermordeten Verlegers den Verlag nicht zurück, obwohl der Raub nach der vom Bundesverwaltungsgericht in unnachahmlicher Weise angewandten „normativen Betrachtungsweise“ angeblich den alliierten bzw. westdeutschen Wiedergutmachungsgesetzen unterfallen wäre. Aber leider, leider waren diese Gesetze bekanntlich in Berlin Ost, das nach der dortigen Ansicht Hauptstadt der DDR war, nicht durchsetzbar, und die DDR hat – bis auf Ansprüche der Sowjetunion – grundsätzlich nicht restituiert, unabhängig davon, woher das Raubgut stammte.

Heute bekommen die Erben des ermordeten Verlegers nichts zurück, weil nach Ansicht des BVwG die damaligen Entscheidungen – Unzulässigkeit des Antrags, weil der Vermögensgegenstand nicht im Geltungsbereich des Rückerstattungsrechts belegen ist – durch das Vermögensgesetz nicht korrigiert oder nachbessert werden sollen.

Auf dem Gebiet der DDR gibt es daher die Selektion von zwei rechtlich unterschiedlichen Klassen jüdischen Eigentums: das auf dem Gebiet der DDR entzogene und dort noch feststellbar vorhandene Vermögen, das auf Antrag zurückzugeben ist, und das in sonstigen Gebieten entzogene Vermögen, das anschließend auf das Gebiet der späteren DDR verbracht worden ist und heute nicht zurückgeben wird, weil angeblich die Volkskammer das nicht wollte.

Folglich ist das Gebiet der DDR ein sicherer Hort für Naziraubgut, das außerhalb der späteren DDR geraubt wurde und die Bundesrepublik – und jeder andere Räuber –  kann die Beute ganz legal behalten.

Allerdings ist diese fiskalisch opportune Auslegung des Vermögensgesetzes durch das Bundesverwaltungsgericht noch vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig.

Bernd F. Lunkewitz