Die Staatsanwaltschaft macht sich schadensersatzpflichtig, wenn sie Bilder, die nicht rechtmäßiges Eigentum des Herrn Gurlitt sind, an ihn statt an die Berechtigten herausgibt.

Inzwischen melden sich vereinzelt in der Presse einige Anwälte, die in diesem exotischen und komplizierten Rechtsgebiet – siehe die hilflose Bayrische Staatsregierung  – die Ansprüche der Geschädigten nicht von vornherein als aussichtslos beurteilen und dafür ebenfalls die BGH Entscheidung zur Plakatsammlung Sachs heranziehen.

Allerdings haben sie meistens nicht gesehen,  dass die Frage der Verjährung (oder der Verwirkung) dort nicht die zentrale Frage ist. Die Beklagte hatte dort den Einwand der Verjährung gar nicht erhoben, weshalb der BGH dazu auch nichts ausgeführt hat.

Aber nicht eine Verjährung irgendwelcher Ansprüche, sondern die bisherige Rechtsprechung, nach der die Ansprüche auf Restitution (= Rückerstattung des tatsächlich verlorenen Eigentums) nur nach den alliierten Rückerstattungsgesetzen verfolgt werden konnten, aber deren Fristen längst abgelaufen waren, war bisher das zentrale Problem. Denn durch diese Gesetze wurden nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BGH die sonst gültigen zivilrechtlichen Bestimmungen über das Eigentum verdrängt. Deshalb hat Hildebrand Gurlitt in 1950 mit der schamlosen Behauptung, sie seien sein rechtmäßiges Eigentum, sogar bereits beschlagnahmten Bilder zurückgekommen, denn deren tatsächlichen Eigentümer waren ermordet oder ins Ausland geflohen und wussten nichts von deren Existenz und gegenwärtigen Besitzer Sie konnten daher auch keinen Antrag auf Rückgabe stellen. Darin ist aus heutiger Sicht natürlich keine grobe Fahrlässigkeit der Geschädigten zu sehen. Das belegt nur, wie unzureichend diese Gesetze und vor allem wie fast vorsätzlich benachteiligend die extrem kurze Frist von knapp einem Jahr gewesen ist. Das Interesse der Bundesrepublik am wirtschaftlichen Aufbau, am Rechtsfrieden für die Ariseure, war damals (und heute?) wichtiger.

Es kommt also zunächst jedenfalls gar nicht auf eine Verjährung von 30 oder x Jahren an, sondern im Fall Gurlitt (US Besatzungszone, Gesetz Nr. 59 vom 10.November 1947) auf die Frist bis zum 31.12.1948. Nach Ablauf dieser Frist konnten Anträge nicht mehr gestellt werden, alle Ariseure und nationalsozialistischen Räuber konnten unter dem Beifall der Bundesregierung und des Öffentlichkeit die Beute behalten. Das ist seit 60 Jahren bekannt, aber heute tut man so als wäre das eine Neuigkeit: Also gar keine Verjährung, nur eine Ausschlussfrist! Deshalb konnten in den 50iger Jahren und noch lange später die aus der Nazizeit kommenden Kunsthändler und Räuber – diese Bezeichnung war damals vielfach synonym – auch so ungeniert wirken und in der Gesellschaft ihrer zahlreichen Mittäter auf anderen Gebieten der Arisierung auch wieder zu Ansehen und Wohlstand kommen. Alte Kameraden, Profiteure und Freunde in der Politik und Justiz hatten sie ohnehin genug und die verwiesen jahrzehntelang ganz treuherzig auf die in dem Gesetz festgeschriebene Bestimmung, dass die Restitution aus nationalsozialistischer Verfolgung entzogener, „feststellbarer“ Vermögenswerte nur nach diesem Gesetz gestellt werden konnten, dessen Frist aber leider, leider bereits abgelaufen war.

Der vom BGH jetzt dem Sohn des Sammlers Sachs zugesprochene Herausgabeanspruch nach § 985 BGB („Der Eigentümer kann von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen.“) ist eine längst überfällige Abkehr von dieser zynischen Haltung der frühen bundesrepublikanischen Rechtsprechung und etwas grundlegend anderes als der Restitutionsanspruch auf bereits verlorenes Eigentum.

Der wirksame Herausgabeanspruch in diesen Fällen – Plakatsammlung Sachs aber auch Bildersammlung Gurlitt – setzt erstens voraus, das die rassische Verfolgten den Antrag auf Restitution nicht rechtzeitig stellen konnten, weil der „feststellbare“ Vermögenswert zum Fristablauf wenigstens „subjektiv“ verschollen war, folglich auch der unberechtigte Besitzer als Anspruchsgegner unbekannt war.

Im Fall Plakatsammlung Sachs war der „feststellbare“ Vermögenswert zudem noch außerhalb des Geltungsbereichs der Rückerstattungsgesetze, nämlich in der DDR, belegen, konnte dort gar nicht erfolgreich geltend gemacht werden, weil die DDR bekanntlich nicht restituierte. Die Sammlung Gurlitt war „nur“ verschollen, bzw. vom Ariseur gut getarnt (Behauptung: „alles ist verbrannt“) und versteckt. Das führte dazu, dass die Berechtigten weder die Existenz des „feststellbaren“ Vermögenswertes, noch die Person des unberechtigten Besitzers kannten und daher einen Antrag auf Restitution nach dem Gesetz Nr. 59 nicht stellen konnten. Nach dem Fristablauf hat die Rechtsprechung in der Bundesrepublik mit dem Beharren auf der Ausschlusswirkung der alliierten Rückerstattungsgesetze verhindert, dass ein zivilrechtlicher Herausgabeanspruch entstehen und geltend gemacht werden konnte. Das kann heute den Berechtigten nicht zum Nachteil gereichen, so dass davon auszugehen ist, dass nach § 200 Satz 1 BGB, der bekanntlich nicht auf den Zeitpunkt der Schädigung, sondern auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs abstellt, der zivilrechtliche Herausgabeanspruch erst mit der Entscheidung des BGH im Fall Plakatsammlung Sachs entstanden ist.

Der Rückerstattungsanspruch setzt ferner voraus, dass die rassisch Verfolgten trotzt der Entziehung Eigentümer deshalb geblieben sind, weil aus heutiger Sicht alle damaligen unter Zwang erfolgten Rechtsgeschäfte mit rassisch Verfolgten wegen Sittenwidrigkeit nichtig sind und erst Recht bloße Wegnahmen nicht zum Verlust ihres Eigentums führten. Dabei ist zu beachten, dass nach deutschem Recht das Eigentum ein absolutes Recht ist, das nicht verjähren kann, sondern nur der daraus folgende Herausgabeanspruch. Dieser Einwand – wie auch der der Verwirkung – müsste aber erst mal erhoben werden, von einem Kläger, dessen Erblasser sich die Vermögenswerte sogar selber rechtswidrig angeeignet hatte und der dann jahrzehntelang in diesem Wissen das fremde Eigentum versteckt hat, um die absolute Verjährung zu erreichen. Auf den Einwand der absoluten Verjährung nach § 200 Satz 1 BGB kann sich daher in diesem Fall auch wegen des offensichtlichen Rechtsmißbrauchs der bösgläubige Besitzer Gurlitt nicht berufen.

Der BGH hat in der Sache Plakatsammlung Sachs festgestellt: Wenn der Rückerstattungsanspruch damals aus den genannten Gründen nicht fristgerecht geltend gemacht werden konnte, aber heute sogar nach den allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen die Rückgabe doch möglich wird, tritt wegen des besonderen Schutzzwecks der Rückerstattungsgesetze, nämlich der Schutz des Interesses der Geschädigten an der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands, das allgemeine Zivilrecht und damit der Herausgabeanspruch nach § 985 BGB nicht hinter die Rückerstattungsgesetze zurück. In diesem besonderen Fall der Entziehung außerhalb des Beitrittsgebietes, für das sonst das Vermögensgesetz anwendbar wäre, ist eben zu berücksichtigen, dass der Anspruch auf Herausgabe weder im Dritten Reich, noch in der DDR bestand, bzw. durchsetzbar war und daher frühestens mit dem Untergang der DDR überhaupt erst entstanden ist. Damit würde eine Verjährung solcher Ansprüche erst mit Ablauf des Jahres 2020 eintreten.

Erst nach dieser neuen  Rechtsprechung des BGH kommt es dann bei dem unter den obigen Voraussetzungen doch wirksamen zivilrechtlichen Herausgabeanspruch der rechtmäßigen Eigentümer auf die Verjährung oder die Verwirkung an, die aber aus den von mir dargelegten Gründen beide nicht eingetreten sein können, da die Berufung auf diesen Einwand einem böswilligen unrechtmäßigen Besitzer, der selbst die entzogenen Sachen versteckt und dadurch die Geltendmachung des Anspruchs aktiv verhindert hat, verwehrt sein muss.

Entgegen der Absicht der Staatsanwaltschaft dürfen die Bilder, die Herrn Gurlitt nachweislich nicht zustehen, nur an die berechtigten Eigentümer, nicht aber an den vormaligen unberechtigten Besitzer Gurlitt herausgegeben werden. Andernfalls könnten sich die Behörden schadensersatzpflichtig machen.