Nochmals zum Herausgabeanspruch auf die Bilder aus der Sammlung Gurlitt

Der in dem Leserbrief in der FAZ vom 22.01.2013 von Herrn Prof. Dr. Wolfgang Krüger apodiktisch vorgetragenen Meinung, daß die zivilrechtlichen Herausgabeansprüche der Rechtsnachfolger der rassisch verfolgten Eigentümer der bei Gurlitt gefundenen Bilder nach § 985 BGB durch den Ablauf der in § 187 Abs. 1 Nr. 1 BGB festgelegten dreißigjährigen Frist längst verjährt seien, kann ich auch nicht deshalb zustimmen, weil sie inzwischen auch vom Bayrischen Justizminister Bausback und von Frau Leutheusser-Schnarrenberger vertreten wird, schon weil der von ihm einzig dafür angeführte Text des § 200 Satz 1 BGB diese Rechtsmeinung gerade nicht “selten eindeutig“ bestätigt.

Die Opfer der rassischen Verfolgung im Dritten Reich konnten seit dem Ende des Krieges ihre Restitutionsansprüche in natura nur nach den damaligen alliierten Rückerstattungsgesetzen verfolgen, die das allgemeine Zivilrecht und das BGB mit seinen längeren Verjährungsfristen verdrängten und die bekannten, extrem kurzen und zwingenden Anmeldefristen – im Fall Gurlitt der 31.12.1948 – enthielten. Diese Fristen sollten angeblich dem Rechtsfrieden dienen, führten jedoch tatsächlich dazu, dass viele der – meist  über die ganze Welt verstreuten –  Geschädigten oder deren Nachkommen dadurch gesetzlich von der Rückgabe ausgeschlossen wurden, weil sie bis Ablauf der Ausschlussfrist weder den Verbleib ihres Vermögens noch die Schädiger kannten, also keine Anträge stellen konnten. Es gab also damals überhaupt keine zivilrechtlichen Herausgabeansprüche und daher auch keine Verjährungsfristen. Dadurch gewannen die Räuber und Mörder und ihre Gehilfen oder Profiteure, die durch die Verdrängung des Zivilrechts auch nach Ablauf der Fristen des Rückerstattungsrechts das bis dahin noch nicht aufgefundene Raubgut behalten konnten. Das ist seit Jahrzehnten bekannt, auch wenn heute so getan wird, als sei das eine Überraschung. Erst der BGH hat im März 2012 diese über all die Jahre hinweg perpetuierte eklatante Gerechtigkeitslücke mit seinem Urteil zur Sachs-Sammlung geschlossen, indem er das BGB für solche Fälle jetzt doch für anwendbar erklärte und so wenigstens den Nachfahren der Opfer Wieder­gutmachung durch physische Rückgabe der geraubten Güter eröffnet hat.

Entgegen Herrn Prof. Dr. Wolfgang Krüger sind die Ansprüche der Gurlitt-Geschädigten nicht verjährt. Seine Feststellung, daß die 30-jährige Verjährung des dinglichen Herausgabeanspruchs nach Paragraph 200 Satz 1 BGB an dessen Entstehung anknüpft, ist richtig, hilft aber nicht weiter, da zu prüfen ist, wann er denn entstanden ist. Dies ist erst dann der Fall, wenn er objektiv erstmals geltend gemacht und notfalls durch Klage durchgesetzt werden kann. Wissen aber die Geschädigten weder, wo sich ihr Eigentum überhaupt befindet, noch wer der Schädiger ist und die tatsächliche Sachherrschaft ausübt, weil darüber – mangels Aufklärung – keine Nachrichten vorliegen, ist es ihnen unmöglich, ihre Rechte geltend zu machen, erst recht, Klage (gegen wen und aus welchen Gründen ?) zu erheben.

Unabhängig vom Vorigen haben die Geschädigten wegen der Sittenwidrig­keit der damaligen Wegnahmen nicht nur die vorgenannten dinglichen, sondern auch deliktische, selbständig zu beurteilende Ansprüche. Diese verjährten nach altem und verjähren nach neuem Recht zwar innerhalb von drei Jahren. Jedoch muß der Anspruch erst entstanden sein und müssen die Geschädigten die ihn begründenden Umstände, ferner die Person des Anspruchsgegners kennen.

Die 30-Jahresfrist ist keineswegs ein finaler Schlußpunkt, sondern unterliegt einer Vielzahl gesetzlicher Ausnahmen. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des BGH, die dieser selbst als feststehend bezeichnet hat, tritt eine Hemmung der Verjährung nach Paragraph 206 BGB u. a. dann ein, wenn und so lange eine beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtslos ist, weil die Rechtsprechung Ansprüche dieser Art verneint, bzw. wenn ein Klageweg rechtlich gar nicht zur Verfügung gestellt wurde, bzw. wenn die Rechtspflegeorgane ein Tätigwerden ablehnten, bzw. wenn gerichtliche Hilfe in der praktischen Lebenswirklichkeit, z. B. wegen konkreter politischer Zwänge, nicht zur Verfügung stand. In all diesen Fällen läuft die Verjährung über 30 Jahre hinaus weiter, bis das Hemmnis beseitigt ist.

Ganz offensichtlich ist nach den genannten Voraussetzungen die Verjährung der Ansprüche der Gurlitt-Geschädigten gehemmt. Die weggenommenen Bilder sind damals den Eigentümern abhandengekommen, so dass auch ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen ist. Ein Kunsthändler, der ausgerechnet z. B. von Goebbels 200 Bilder für 4.000 Franken gekauft haben will, kann sich niemals auf gutgläubigen Erwerb berufen. Es entsprach nach dem Krieg allgemeiner Rechtsaufassung, dass die Rückerstattungsgesetze als das speziellere Recht das allgemeine Zivilrecht und das BGB verdrängten. Deswegen verbot es sich für die Geschädigten, eine Klage (wieder: gegen wen und aus welchen Gründen?) ausgerechnet auf das BGB und den dort bestimmten Herausgabeanspruch mit dessen Verjährungsvorschriften zu stützen. Erstmals durch das Urteil des BGH zur Sachs-Sammlung sind für solche damals verschollenen Vermögenswerte Ansprüche nach allgemeinem Zivilrecht und BGB eröffnet worden. Diese können aber bisher noch immer nicht geltend gemacht werden, weil wegen des bekannten Verhaltens der Ermittlungsbehörden erst jetzt die Nachforschungen zur Provenienz beginnen. Wann soll also die Verjährungsfrist für die zivilrechtlichen Herausgabeansprüche begonnen haben?

Es war bereits beim Erlass der Rückerstattungsgesetze mit ihren genannten Anmeldefristen unerfindlich, wie eine Regelung zum Rechtsfrieden beitragen sollte, die die Belange der Täter nach den Raubzügen des Nazi-Regimes ein weiteres Mal über diejenigen der Opfer stellte. Trotzdem hat die Rechtsprechung über Jahrzehnte an der ausschließlichen Geltung dieser Gesetze und der darin bestimmten Fristen festgehalten und die Anwendung des Zivilrechts verneint. Skandalös und zynisch wäre es, wenn die Nachfahren der Opfer jetzt nach dem späten Auftauchen dieses Raubguts von Juristen, wie dem Herrn Professor Krüger, nochmals brüskiert würden, nämlich mit der Bescheidung, neuerdings würden zwar Ansprüche nach BGB eröffnet, dafür gälten auch die dortigen langen Verjährungsfristen, leider, leider seien diese jedoch ihrerseits zwischenzeitlich abgelaufen, nachdem das Raubgut so lange und so gut versteckt gewesen sei. Will die Justiz wirklich so mit den Opfern des Nationalsozialismus umgehen?

Bernd F. Lunkewitz