Archiv für den Monat: September 2013

Rechtsbruch zu Lasten der im Dritten Reich verfolgten Juden

 

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat durch sein Urteil vom 25.11.2008 (BVerwG 8 C 12.08) die Rückgabe des Verlages Rütten & Loening an die Erben der vom nationalsozialistischen Deutschland aus rassischen Gründen ermordeten bzw. vertriebenen Verleger mit der Begründung abgelehnt, dass die Bestimmungen des § 1 Abs. 6 Vermögensgesetzes für diesen Fall nicht anwendbar seien.

Den wahren Grund für diese sowohl dem deutschen und internationalen Recht als auch den Denkgesetzen hohnsprechende Entscheidung findet man aber nicht in diesem Urteil.

Es ist dies auch kein rechtlicher, sondern ein fiskalischer Grund. Denn die Rückgabe des Verlages hätte – unabhängig von den Prozessen um die Fehler und Betrügereien der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) bei dem Verkauf der Verlage Aufbau und Rütten & Loening  – wegen des vertraglich vereinbarten Junktims der beiden Verkäufe zur vollständigen Rückabwicklung dieser Privatisierungsverträge und damit zum Ersatz aller Aufwendungen und Investitionen der betrogenen Käufer geführt.

Die Behörden hatten deshalb schon den am 3.10.1990 gestellten Restitutionsantrag mehr als 10 Jahre vor den Käufern verheimlicht, nicht obwohl, sondern weil sie von deren erheblichen Investitionen in die beiden Verlage wussten. Es ging in Wahrheit also gar nicht um einen Verlag im Wert von 50.000 €, sondern inoffiziell –  aber allen Beteiligten bekannt – um die Abwehr eines daraus folgenden Entschädigungsfalls in Höhe von mindestens 30 Millionen €. Bei solchen Beträgen steht das fiskalische Interesse dann im Einzelfall doch über dem Gesetz, erst recht über dem § 1 Abs. 6 Vermögensgesetz, dessen Bestimmungen sowieso nur als – generöses – Entgegenkommen zugunsten der stets „undankbaren und unzufriedenen“ Juden verstanden werden.

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte diesen Zusammenhang der Restitution mit dem Verkauf der Verlage zwar auch gesehen, aber sich von den drohenden indirekten fiskalischen Folgen nicht davon abhalten lassen, unabhängig und gesetzeskonform nach der Rechtslage zugunsten der Antragssteller zu entscheiden (VG 29 A 260.07).

Die Zusammensetzung der kriminellen Treuhandbande mag sich im Laufe der Zeit geändert haben, aber noch immer reicht ihr Einfluss zur Beeinflussung mancher Gerichte aus.

Das Bundesverwaltungsgericht ist dafür allerdings ein relativ leichtes Ziel, weil seine Richter besonders eng mit den Spitzen der staatlichen Verwaltung verwoben sind und die fiskalischen und politischen Interessen der Bundesregierung für sie regelmäßig bei der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen maßgeblich sind.

Um in diesem Sinne die für den Fiskus sehr nachteilige Rückabwicklung des Verkaufs der Verlage zu verhindern, musste unbedingt die Restitution des Verlages Rütten & Loening abgelehnt werden und wurde abgelehnt und musste nach außen dafür auch eine einigermaßen juristisch klingende „Begründung“ gefunden werden.

Damit stellte sich das Bundesverwaltungsgericht auf die gleiche Stufe wie später die für Staatshaftungssachen sonderzuständige berüchtigte 9. Zivilkammer des Landgerichts Berlin und das Kammergericht bei der Abwehr der berechtigten Schadensersatzansprüche der Investoren gegen den Bund in den dortigen Zivilprozessen.

In dem vorauseilenden Eifer, der Obrigkeit gefällig zu sein, behauptet das BVerwG, ohne irgendeine Begründung und entgegen des substantiierten und unbestrittenen Vortrags der Kläger, dass die Rütten & Loening GmbH 1990 durch Umwandlung nach dem Treuhandgesetz (THG) entstanden sei. Warum und auf welchem Weg der Amtsermittlung das BVerwG diesen für das Urteil irrelevanten weil hier nicht entscheidungserheblichen Sachverhalt festgestellt haben will und warum das so im Urteil steht, wird leider das Beratungsgeheimnis der Richter bleiben. Allerdings entspricht diese – unzutreffende – Darstellung völlig den Interessen der BvS in den parallel laufenden Zivilverfahren. Irgendwer muss den Richtern diese Darstellung irgendwie „erklärt“ haben.

Für manche Richter gehören „kleine“ Ungerechtigkeiten zu Gunsten des Fiskus zu ihrem Dienst für das Vaterland, sie haben dabei auch kein schlechtes Gewissen, da sie ja der Ansicht sind, damit der Allgemeinheit zu dienen. In alter Tradition halten sie das Interesse der Regierung für das Interesse des Staates und das Interesse des Staates für das Interesse des Volkes, in dessen Namen sie Recht sprechen sollen. Dass die unparteiische Anwendung des Rechts ohne Ansehung der Person ihr bester Dienst an der Allgemeinheit sein könnte, kommt ihnen nicht in den Sinn.

Den Wunsch der Obrigkeit erfüllten die Richter des BVerwG in dem Fall Rütten & Loening auf Kosten der Erben des 1942 ermordeten Verlegers Wilhelm Ernst Oswalt durch ein aus den genannten sachfremden Gründen gefälltes Urteil, dessen vorgeschobene Begründung leicht durchsichtig gegen das geltende Recht und die Denkgesetze verstößt:

Da der Zwangsverkauf des Verlages im Jahre 1936 in Frankfurt am Main stattfand, hätten nach der Behauptung des BVerwG bereits die nach 1945 erlassenen alliierten und bundesdeutschen Rückerstattungsregelungen den Fall Rütten & Loening „normativ“ (gesetzlich) erfasst. Weil aber der Verlag seit 1936 seinen Sitz in Potsdam, also auf dem Gebiet der späteren DDR hatte, sei nach 1945 die Restitution des Unternehmens an die Berechtigten jedoch trotz der Geltung der Gesetze für diesen Fall „unmöglich“ gewesen und deshalb wäre damals an die Stelle der „unmöglichen“ Rückgabe ein – gleichwertiger – gesetzlicher („normativer“) Schadensersatzanspruch gegenüber dem westdeutschen Staat entstanden. Ob dieser Anspruch damals verfolgt und befriedigt wurde, sei heute unerheblich.

Diese „normative“ Betrachtungsweise sei ausreichend, denn nach ihr sei durch die damaligen gesetzlichen Regelungen auch der Fall Rütten & Loening „grundsätzlich“ erfasst gewesen. Mit Blick auf das Bundesverfassungsgericht erklärte das BVerwG weiter, es stünde mithin jedenfalls fest, dass keine vom Vermögensgesetz zu schließende rechtliche Regelungslücke hinsichtlich der Wegnahme des Verlages vorhanden sei, unabhängig davon, ob das die damals damit befassten Gerichte erkannt hätten (mit anderen Worten: egal wie die bisherige Rechtsprechung war).  Das von der DDR erlassene Vermögensgesetz sei hier jedenfalls nicht anwendbar, da es die damaligen gesetzlichen Regelungen und rechtskräftigen Entscheidungen nicht verändern oder verbessern sollte.

Damit stellt das BVerwG allein auf die Belegenheit des Vermögenswertes zum Zeitpunkt der Entziehung ab – obwohl das Vermögensgesetz dazu nichts aussagt – und behauptet, dass § 1 Abs. 6 des Gesetzes nicht auf alle den Verfolgten des Naziregimes im Deutschen Reich entzogenen und heute noch auf dem Gebiet der DDR feststellbaren Vermögenswerte anwendbar ist, sondern nur auf solche, die ursprünglich auf dem späteren Gebiet der DDR entzogen wurden. Nur solche Vermögenswerte seien angeblich damals nicht „normativ“ durch die damaligen westdeutschen Rückerstattungs- oder Entschädigungsregelungen erfasst worden und unterfielen daher heute dem Vermögensgesetz. Als Umkehrschluss folgt daraus der für den Fiskus günstige Umstand, dass die Bundesrepublik alle von den Nazis in Westdeutschland entzogenen und zur Zeit des Dritten Reiches in das spätere Beitrittsgebiet gebrachten Vermögenswerte, die anschließend in Volkseigentum (= Staatseigentum) geraten waren, heute behalten kann.

Diese Begründung des BVerwG beruht auf einem plumpen semantischen Trick, nämlich der absichtlichen Verwechslung normativer Begriffe durch die unzutreffende Ersetzung des Begriffes „Zuständigkeit“ durch den Begriff „Unmöglichkeit“.

Nach den alliierten und bundesdeutschen Rückerstattungsgesetzen und der gefestigten Rechtsprechung dazu entstand – an Stelle der gesetzlich bestimmten Rückgabe – ein Schadensersatzanspruch im Geltungsbereich dieser Gesetze nur dann, wenn der Vermögenswert nach der Entziehung untergegangen und/oder nicht mehr feststellbar war und erst dadurch die Rückgabe endgültig „unmöglich“ wurde.

Nach diesem Urteil des BVerwG aber entstand im Fall Rütten & Loening angeblich der gesetzliche Entschädigungsanspruch durch die „Unmöglichkeit“ der Rückgabe nach den alliierten und bundesdeutschen Restitutionsregeln bereits dadurch, dass der feststellbare Vermögenswert (hauptsächlich Firmen- und Verlagsrechte) tatsächlich zwar noch vorhanden und feststellbar, aber nur in einem anderen Hoheitsgebiet, hier der DDR, belegen war, für dass die bundesdeutschen Gerichte keine Rechtsmacht hatten, weil sie dort nicht zuständig waren.

Dass aber eine Rückgabe des Verlages Rütten & Loening nach 1945 grundsätzlich doch „möglich“ war, erhellt schon daraus, dass Dritte, nämlich die DDR, bzw. die Gesellschafter der dortigen Rütten & Loening GmbH, jederzeit in der Lage gewesen wären, den Vermögenswert herauszugeben. Die Rückgabe wäre auch wirksam gewesen, denn grundsätzlich waren auch in der DDR die Firmen- und Verlagsrechte ausländischer, insbesondere westdeutscher Unternehmen, gesetzlich anerkannt und konnten auch dort nur auf vertraglicher Grundlage genutzt werden. Rechtlich bestand damals also nicht eine „Unmöglichkeit“ der Rückgabe, sondern nur die mangelnde Zuständigkeit, bzw. Rechtsmacht der bundesdeutschen Gerichte, das für das Gebiet der DDR anzuordnen.

Tatsächlich haben in der DDR durchgehend staatlich anerkannte private Verlage existiert und ist es nach 1945 sogar zur Sitzverlegung ostdeutscher Verlage nach Westdeutschland gekommen, die anschließend auch in der DDR – als ausländische Verlage – anerkannt wurden und dort im gewissen Umfang, z. B. durch Lizenzvergabe, nach DDR Recht tätig sein konnten.

Nicht die Rückgabe des Verlages, sondern die Anwendung der alliierten und bundesdeutschen Rückerstattungsregeln durch westdeutsche Gerichte war in der DDR „unmöglich“, weil die bundesdeutschen Gerichte schlicht nicht zuständig waren. Das haben nach dem Krieg alle damit befassten bundesdeutschen Gerichte zutreffend so beurteilt. Aus diesem Grunde waren die damaligen Anträge der Geschädigten auf Restitution „unzulässig“, da sie die Zuständigkeit der westdeutschen Gerichte für die Rückgabe eines in der DDR belegenen Vermögenswertes nicht  begründen konnten – gerade bei „normativer Betrachtungsweise“. Aus diesem Grunde bestanden damals in Westdeutschland auch „normativ“ weder ein Rückgabe-, noch ein Entschädigungsanspruch für die Entziehung des Verlages Rütten & Loening.

Alle damals angerufenen Gerichte und Behörden haben unter Hinweis auf die Existenz des Verlages in der DDR dargelegt, dass nur dann, wenn der in Frankfurt am Main entzogene Vermögenswert – der Verlag – nicht mehr feststellbar oder nachweislich im Dritten Reich untergegangen gewesen wäre, nach bundesdeutschem Recht eine „normative“ Erfassung durch den wegen der Entziehung in Frankfurt am Main dann begründeten Entschädigungsanspruch für die nicht mehr „feststellbaren“ Vermögenswerte bestanden hätte.

Auch die Urteile des LG Bielefeld und des OLG Hamm aus den 1960iger Jahren bestätigen, dass wegen des Territorialprinzips die westdeutschen Gesetze in der DDR nicht galten und die westdeutschen Gerichte in der DDR nicht zuständig waren. Damals wurde der Ariseur Dr. Hachfeld zwar hinsichtlich der Namensrechte für das Gebiet der Bundesrepublik geschützt, weil dessen entschädigungslose Enteignung durch die Sowjetische Militäradministration in Westdeutschland nicht anerkannt wurde und folglich dem in der DDR ansässigen Verlag R&L die Führung der Namensrechte für das Gebiet der BRD, nicht aber für das Gebiet der DDR untersagt. Das Eigentum der dortigen Gesellschafter an dem in der DDR residierenden Verlag Rütten & Loening blieb aber unangetastet, erst recht die Verlags- und Urheberrechte des Ostberliner Verlages auch für Gebiet der Bundesrepublik. Der zunächst volkseigene, später wieder private Verlag war (und ist) identisch mit dem 1936 zwangsverkauften Verlag und blieb anerkannter Inhaber aller Namens- und Verlagsrechte auf dem Gebiet der DDR.

Neben den materiellen Vermögensgegenständen des Verlages (Büroeinrichtung, Bücherbestände, Archivalien, etc.) waren diese immateriellen Verlags- und Urheberrechte, insbesondere für das Gebiet der DDR, der wesentliche Vermögenswert des Verlages Rütten & Loening, für dessen Rückgabe die bundesdeutsche Justiz nicht zuständig war und auch keine Rechtsmacht gehabt hätte. Durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik sind diese Rechte – insbesondere für das Gebiet der neuen Bundesländer – aber keinesfalls erloschen, sondern bestehen unverändert fort, denn auch das Verlags- und Urheberrecht folgt dem Territorialprinzip. Umgekehrt erstrecken diese Rechte sich nun sogar auf das gesamte Gebiet der Bundesrepublik.

Die Enteignungen 1945 bis 1949  wurden nach der Wende nicht rückgängig gemacht, so dass der Ariseur die Rechte an dem Verlag auch heute wirksam an das Volkseigentum verloren hatte. Die DDR hatte ihn nicht an die verfolgungsbedingt Geschädigten zurückgegeben. Genau für diese Fälle wurde die Regelung des § 1 Abs. 6 des Vermögensgesetzes geschaffen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dieses Gesetz vorsätzlich gebrochen.

Wie und warum die Firmen- und Verlagsrechte auf dem Hoheitsgebiet der DDR, außerhalb des Geltungsbereichs der alliierten und bundesdeutschen Gesetze, trotzdem in „normativer“ oder sonstiger „Betrachtungsweise“ den damaligen alliierten und bundesdeutschen Restitutions- und Entschädigungsgesetzen unterfallen sein sollen, legt das Bundesverwaltungsgericht nicht dar und kann es auch nicht darlegen.

Wenn die These des BVerwG von der Geltung dieser Gesetze auch auf dem Gebiet der DDR zuträfe, und nur die Rückgabe „unmöglich“ gewesen wäre, ist auch nicht erkennbar, warum dann nicht auch die dort originär entzogenen Vermögenswerte „normativ“ erfasst gewesen wären, mit der absurden Folge, dass der § 1 Abs. 6 VermG insgesamt nicht anwendbar wäre.

Umgekehrt unterfielen in Westdeutschland selbstverständlich auch die zur Zeit des Dritten Reiches verfolgungsbedingt auf dem späteren Gebiet der DDR entzogenen Vermögenswerte den alliierten und westdeutschen Rückerstattungsgesetzen, wenn sie in der Zeit des Nationalsozialismus nach Westdeutschland oder Westberlin, also in den späteren Geltungsbereich dieser Gesetze geraten und dort feststellbar waren.

Die „Begründung“ des BVerwG in dem Fall Rütten & Loening, den Verlag mit seinen insbesondere auf dem Gebiet der DDR bestehenden Rechten und Vermögensgegenständen nicht durch Anwendung des Vermögensgesetzes zurückzugeben, weil er 1936 in Frankfurt am Main entzogen wurde, ist daher eine rein opportunistische Entscheidung zur rechtswidrigen Abwehr der Rückgabeansprüche der Berechtigten und vor allem eine gleichermaßen aus sachfremden Motiven gespeiste Unterstützung der BvS in dem zivilen Rechtsstreit über den Schadensersatz für die Folgen der gescheiterten Privatisierung des Verlages in Jahre 1991.

Die Bundesrepublik Deutschland verstößt damit gegen das geltende Recht und darüber hinaus gegen ihre völkervertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Westmächten aus der Vereinbarung vom 27./28.09.1990, in der sie zusagte, „auf dem Gebiet der gegenwärtigen Deutschen Demokratischen Republik und in Berlin“ die alliierten und bundesdeutschen Wiedergutmachungsregelungen nicht zu umgehen.

Die Richter Gödel, Dr. Pagenkopf, Dr. von Heimburg, Dr, Deiseroth, Dr. Held-Daab haben sich um die Staatskasse verdient gemacht.