Keine Angst: Der Raub an den Juden wird generell nicht neu aufgerollt. Gurlitt bleibt eine Ausnahme.

Es ist sehr auffällig, dass in vielen deutschen Redaktionen von Zeitungen (z.B. FAZ), Zeitschriften (Spiegel) und TV Sendern (z. B. ntv) unter pauschalem Hinweis auf § 200 Satz 1 BGB die vermeintliche Verjährung der Rückgabeansprüche für die bei Gurlitt gefunden Bilder propagiert wird, ohne zu berücksichtigen, dass in diesem Fall der Einwand der Verjährung rechtsmißbräuchlich und daher unzulässig sein könnte.

Vielleicht hat das mit ihrer Rolle als Hüter der Interessen der deutschen Industrie und Wirtschaft zu tun. In der Hinsicht kann ich aber diese Leute aber beruhigen:

In der deutschen Industrie und Wirtschaft muss wegen der Diskussion über die Rückerstattung des nationalsozialistischen Raubguts aus der Sammlung Gurlitt keine Unruhe aufkommen. Sie hat aus dieser Richtung nichts zu befürchten.

Daher zur Beruhigung der Rechtsnachfolger der  Ariseure, die im Dritten Reich aus dem Eigentum der nationalsozialistisch verfolgen Mitbürger „günstig“ Grundstücke, Unternehmen und sonstige Vermögenswerte „erworben“ haben: die neue Rechtsprechung (V ZR 279/10) des BGH zum zivilrechtlichen Herausgabeanspruch des Eigentümers für solche feststellbaren Vermögenswerte gilt nur, wenn sie bis zum Ablauf der in den alliierten Rückerstattungsgesetzen bestimmten Fristen nicht zurückgefordert werden konnten, weil sie „verschollen“ oder versteckt oder unerreichbar (in der DDR) waren und deshalb auch nicht zurückgegeben werden konnten, also Rückerstattungsverfahren überhaupt nicht durchgeführt wurden und wenn der Rückgabeanspruch nicht verjährt ist, bzw. wenn von einem bösgläubigen unrechtmäßigem Besitzer der Einwand der Verjährung nicht rechtsmißbräuchlich erhoben wird.

Alle anderen Fälle, gerade auch hinsichtlich großer ehemals jüdischer Unternehmen, sind längst im Interesse des Rechtsfriedens erledigt. Viele Geschädigte haben damals tatsächlich die entzogenen Vermögensgegenstände zurückerhalten oder eine Nachzahlung erhalten oder sonst nach einem mehr oder weniger angemessenen Ausgleich wirksam auf die Restitution in natura verzichtet. Die meisten „feststellbaren“ Vermögenswerte waren entweder auf dem Gebiet der jeweiligen Rückerstattungsgesetze tatsächlich „feststellbar“ (Grundstücke, Geschäftsbetriebe, Vermögensgegenstände) oder wurden, wenn sie untergegangen waren, entsprechend entschädigt.

Ausgenommen war das Gebiet der DDR, wo erst nach der Wende die Restitution weitgehend durchgeführt worden ist. Hier gibt es wegen der erneut extrem kurzen Ausschlussfrist sicher Härten, die aber von vielen damals am Gesetzgebungsprozess Beteiligten (auch der Jewish Claims Conference) bewusst in Kauf genommen wurden. Denkbar wäre nur, dass die Rechtsprechung eine dem Urteil in der Sache Plakatsammlung Sachs analoge Anwendung auf in der DDR verschollene oder versteckte, damals  durch nationalsozialistische Verfolgung entzogene Vermögenswerte nicht versagen könnte, auch nach Ablauf der absoluten Verjährung im Jahre 2020.

Wenn also die Plakatsammlung Sachs nicht in Berlin Schöneberg, sondern in Mitte weggenommen worden wäre und wenn sie erst nach Ablauf der im Vermögensgesetz festgelegten Antragsfrist, also nach dem 30.6.1993 aufgefunden worden wäre, müsste in seinem solchen Fall entweder das VermG doch anzuwenden sein oder der normale zivilrechtliche Herausgabeanspruch gelten, da die Verjährung erst am 3.10.1990 zu laufen begonnen hat.

Die neue Rechtsprechung des BGH hat auch den großen Vorteil, dass die „ehrlichen“ Ariseure, die ihr Beute nach 1945 angemeldet und nach Beendigung der dortigen Verfahren schließlich behalten durften, im Gegensatz zu den böswilligen, die solche feststellbaren Vermögensgegenstände versteckten und verschwiegen, jetzt nicht mehr belangt werden können. Diese böswilligen Ariseure müssen allerdings – völlig zur Recht – damit leben, dass die Eigentümer der von ihnen rechtswidrig erlangten Vermögensgegenstände noch immer die Herausgabe nach § 985 BGB verlangen können, weil der Einwand der Verjährung rechtsmißbräuchlich wäre. Die Verjährungsfrist für diese Ansprüche läuft erst dann, wenn sie ihre Beute öffentlich bekannt machen. Das müsste für Privatpersonen wie Herrn Gurlitt, aber auch für die Museen und Sammlungen gelten.